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Theresa May: Ausgang ohne Schrecken im beiderseitigen Interesse.

Foto: Reuters / Peter Nicholls

Großbritannien rückt vom harten Brexit ab: Nachdem Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn zu Wochenbeginn den Verbleib in einer Zollunion mit der EU gefordert hatte, beteuerte am Freitag Premierministerin Theresa May ihre Kompromissbereitschaft. Um die Handelsbeziehungen so reibungslos wie möglich zu gestalten, wolle die Insel sich auch zukünftig dem Regelwerk wichtiger EU-Agenturen, etwa bei Arzneimitteln und Luftfahrt, unterwerfen. Ein umfassendes Freihandelsabkommen "ist im Interesse beider Seiten", sagte die Konservative in London.

Video der Rede von Theresa May.
Guardian News

Mays Rede gehört in einen Reigen von Ansprachen führender Regierungsmitglieder – von Brexit-Einpeitschern wie Außenminister Boris Johnson bis zu Brexit-Skeptikern wie Finanzminister Philip Hammond. London will damit den dringlichen Bitten aus Brüssel und anderen Hauptstädten des Festlands nachkommen und die britische Vorstellung des zukünftigen Verhältnisses zur 27er-Gemeinschaft skizzieren. Nur dann, heißt es in Brüssel, sei eine erfolgreiche Vereinbarung über die von London gewünschte, knapp zweijährige Übergangsphase bis Ende 2020 möglich, in der Großbritannien praktisch EU-Mitglied bleibt, ohne aber am Konferenztisch zu sitzen.

"Offene Demokratie"

In ihrer 43-minütigen Ansprache wiederholte May frühere Äußerungen, wonach die Insel "die Kontrolle über unsere Grenzen, unser Geld und unsere Gesetze" zurückerlangen wolle. Anders als früher bezeichnete sie aber Gegner ihrer Auffassung nicht mehr als "Bürger von Nirgendwo" oder als "Saboteure" der Referendumsentscheidung. Vielmehr redete sie den Gemeinsamkeiten der Briten das Wort: Es gelte, die Union der unterschiedlichen Landesteile und verschiedenen Volksgruppen zu stärken. "Wir wollen eine moderne, offene, nach außen gewandte europäische Demokratie sein." Die Übereinkunft mit den 27 Partnern solle Jobs und Sicherheit des Landes schützen.

Erneut grenzte May den gewünschten Handelsvertrag von bestehenden Optionen – etwa der EU-Partnerschaft mit Norwegen oder dem kürzlich unterzeichneten Vertrag mit Kanada – ab. Ihr Land solle eine besondere, auf Großbritannien zugeschnittene Lösung erhalten. Dabei ging May auch auf die häufig erhobene Befürchtung ein, die Insel wolle aus dem bisherigen EU-Verhältnis lediglich die "Rosinen" behalten. "Jeder Handelsvertrag stellt eine Art von Rosinenpickerei dar", argumentierte die Engländerin.

May sprach von "bindenden Vereinbarungen" über den zukünftigen Marktzugang, Staatshilfen und Wettbewerbsregeln. Dies war Londoner Presseberichten zufolge noch am Donnerstag im Kabinett umstritten: Führende Brexiteers hatten sich angeblich gegen diese Formulierung ausgesprochen.

Schiedsgericht, Nordirland

Womöglich hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk bei seinem London-Besuch May davon überzeugen können, dass die EU sich jene bindenden Zusagen erwartet. Für etwaige Streitfälle will May die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zwar in Betracht ziehen, aber nicht als bindend anerkennen. Stattdessen sollte eine neutrale Schiedsinstanz geschaffen werden.

Zwischen Nordirland und der Republik im Süden dürfe es auch zukünftig keine "harte Grenze" geben, beteuerte die Regierungschefin. Ausdrücklich erkannte May an, dass der EU-Austritt ihrem Land die Hauptlast bei der Lösungssuche auferlege. Allerdings müssten auch Dublin und Brüssel dazu beitragen.

Besonders Irland hatte zuletzt die Debatte auf er Insel dominiert. Die Ex-Premiers John Major und Tony Blair waren scharf mit EU-Hassern wie dem Konservativen Jacob Rees-Mogg ins Gericht gegangen. Blair kritisierte zusätzlich seine eigene Labour-Partei: Wäre er Oppositionsführer, "würde ich die Torys täglich wegen ihres Brexit-Schlamassels unter Druck setzen" – anders als Jeremy Corbyn, der dem Thema am liebsten aus dem Weg geht. Dass der heutige Oppositionsführer aber erst zu Wochenbeginn den Verbleib seines Landes in "einer" Zollunion mit der EU gefordert hatte, hat die Brexit-Debatte wohl entscheidend verändert. (Sebastian Borger aus London, 2.3.2018)