Vergangene Woche hätte mein Vater, wenn er noch am Leben gewesen wäre, seinen 80. Geburtstag gefeiert. Vielleicht wäre es ein riesiges rauschendes Fest geworden.

Nein, ganz bestimmt wäre es so. Mit Freunden und Verwandten, die von überallher nach Wien gekommen wären: aus Amerika und aus Russland, aus Israel und aus Deutschland und aus Italien. Die Tische hätten sich gebogen, und wir hätten die halbe Nacht geredet und gelacht, gegessen und getanzt.

Und ich hätte ihn verschwörerisch angesehen und hätte mich bedankt: für das Selbstvertrauen, das er mir anzueignen half. Für seinen Blick für Details und interessante Orte, den er mir weitergab, damit ich statt seiner Stadtdetektivin und Entdeckerin diverser Skurrilitäten sein konnte.

Für den Humor, der mich auch nach seinem Tod mein Leben lang begleitet hat, für die Theaterliebe, für das Wagemutige. Für unsere Winterreise nach Venedig, während der wir uns gewaltig in die Haare bekamen. Wegen unüberbrückbarer Differenzen. Er wollte den Dogenpalast und sämtliche Kirchen auf dem Weg dorthin penibel genau untersuchen und ich ebenso penibel geschmacklos bunte Raulederballerinas. Ich gewann und versaute die Schuhe ein paar Wochen später. Jetzt würde er mit mir bestimmt darüber lachen.

Vielleicht würden wir seine Kataloge aus dem Regal nehmen und sie durchblättern. Es wären bestimmt sehr viel mehr, als ich besitze. Mein Vater hätte nie aufgehört, Künstler zu sein. Für ihn wären 30 weitere Entwicklungsjahre möglich gewesen.

Ich hätte ihn umarmt, die russischen geschliffenen Gläser, die wir noch aus St. Petersburg mitgenommen haben, mit perlendem Champagner gefüllt und angestoßen. Ich hätte ihm zugeraunt: "Auf 120, Papa."

Und in dieser idealen Welt wären ihm nicht siebzig Jahre weniger zugeteilt worden. (Julya Rabinowich, 3.3.2018)