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Wo Beppe Grillo, die wichtigste außerparlamentarische Kraft in Italien, auftaucht, wird es laut. Bei seinen Veranstaltungen bekommt wirklich jeder sein Fett ab.

Foto: Reuters / Guglielmo Mangiapane

Es begann als Witz. Was freilich wunderbar zum Aufstieg des Kabarettisten Beppe Grillo passt, dem es ganz ernsthaft gelungen ist, sich als einer der wichtigsten politischen Faktoren Italiens zu etablieren. "Wie ich das gemacht habe, die größte politische Bewegung Italiens ins Leben zu rufen?", fragte er einmal, im Februar 2016, in Mailand vor Publikum und lieferte die Antwort gleich selbst mit. "Nun, ich weiß es nicht. Ich habe damals nur gescherzt."

Bei Grillo, und damit spielt er bewusst, bleibt stets ungewiss, wo der Spaß endet und der Ernst beginnt. An diesem Abend sagte er auch, er sei ein "Mann, der zwei Persönlichkeiten in sich trägt: die eines Politikers und die eines Komikers". Meist lässt sich gar nicht so leicht eruieren, welche Seite gerade überhandnimmt.

Seine Erfolgsgeschichte – und die seiner Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), die drauf und dran ist, aus der Wahl als stärkste Einzelpartei hervorzugehen – ist erstaunlich. Giuseppe Grillo, Spitzname "Beppe", ein Mann mit grauen, wallenden Locken, wuchtigen Augenbrauen, Vollbart und einem an sich freundlichen Gesicht – so er es nicht gerade zur Fratze verzieht und dazu wie ein Seemann flucht -, macht Politik wie Kabarett – und Kabarett wie Politik: Das Programm ist eine One-Man-Show: laut, vulgär, exzentrisch, politisch höchst inkorrekt, gelegentlich sexistisch und immer rotzfrech bis unverschämt.

Komödiant, kein Clown

Der heute 69-Jährige ist Gründer, Gesicht und Sprachrohr der Bewegung, die schon eine war, lange bevor die Bezeichnung im Rest Europas schick wurde. Er ist all das – außerdem launenhaft und aufbrausend, zudem eine Diva mit Hang zum Größenwahn und zur Exzentrik. Aber eines ist Beppe Grillo ganz bestimmt nicht: ein "Clown".

So bezeichnen ihn seine politischen Gegner in Italien gerne, auch die Medien in seiner Heimat sowie wie das Gros der internationalen Presse. Seitdem der aus der ligurischen Hafenstadt Genua stammende Aktivist sein Programm auf die politische Bühne getragen hat, tendieren viele dazu, Grillo, seine Bewegung, seinen Einfluss und sein Mobilisierungspotenzial zu unterschätzen.

Das tun sie bis heute, obwohl seine Kreation in der Hauptstadt Rom schon die Bürgermeisterin stellt und nach dieser Wahl sogar in der Regierung sitzen könnte. Allmählich sorgt die Aussicht darauf für Nervosität: Silvio Berlusconi meint, er sei überhaupt nur in die Politik zurückgekehrt, um zu verhindern, dass die "Sekte" unter Kontrolle des "alten Komikers" die Regierung übernehme.

Italiens Premier Paolo Gentiloni appelliert, nicht für politische Kräfte zu stimmen, "die das Land nicht regieren können". Und ganz Brüssel sowie die Finanzmärkte schauen mit Sorge nach Rom, da sie den Sieg einer europaskeptischen Partei fürchten.

Meet-ups und V-Days

Fast zehn Jahre existiert Grillos Partei, die bis heute partout keine sein möchte, inzwischen schon. Als sie der Starkomödiant, der damals schon ganze Arenen füllte, 2009 aus der Taufe hob, konnte er auf zwei Dinge zurückgreifen: sein Blog, das damals mit einer Million Besucher pro Woche nicht nur zu den meistgelesenen Italiens, sondern auch der Welt gehörte.

Und die sogenannten Meet-ups, Zusammenkünfte von Sympathisanten, die Grillo über sein Blog auf lokaler Ebene seit 2005 organisiert hatte. Dafür hatte er sich die Kampagne des Amerikaners Howard Dean zum Vorbild genommen. Dean, demokratischer Präsidentschaftskandidat, hatte mithilfe der Webseite "meetup.org" Unterstützer an vielen Orten zu Kampagnenterminen organisiert. Deans Pläne platzten bei der Vorwahl 2004, sein Instrument allerdings offenbarte erstmals das Potenzial sozialer Netzwerke.

In Italien kandidierten die ersten Aktivisten, die sich "Freunde Beppe Grillos" nannten, ab 2007 auf lokaler Ebene auf Bürgerlisten. Im selben Jahr startete Grillo mit regelmäßigen landesweiten Protestveranstaltungen namens V-Day, einer Mischung aus der Anlehnung an den D-Day im Zweiten Weltkrieg und dem Wort "vaffanculo", also freundlich übersetzt: "Scher' dich zum Teufel."

"Blog macht Politik"

Mit der Initiative fordert er, vorbestrafte Politiker am Einzug ins Parlament zu hindern, Amtszeiten auf zwei Legislaturperioden zu reduzieren und Politiker direkt statt über Listen zu wählen. Das kam gut an im Italien der Nullerjahre, die bis auf die 18 Monate regierende Linksregierung von Romani Prodi geprägt waren von der übermächtigen Rechten unter dem vielfach angeklagten und später wegen Steuerbetrugs verurteilten Silvio Berlusconi.

Fast eine Million Italienerinnen und Italiener ging quer durchs Land an den V-Days auf die Straße. Von dieser Dynamik machte Grillo Gebrauch, als er im Jänner 2008 ankündigte, dass "das Blog nun aktiv Politik macht" – zunächst als gemeinsame Liste der "Fünf Sterne", die für fünf Hauptthemen standen: Umweltschutz, universelles Recht auf sauberes Wasser, technologischer Fortschritt, öffentliche Breitbandkonnektivität und nachhaltige Mobilität. Im Oktober 2009 war die Fünf-Sterne-Bewegung geboren.

Sie fuhr einige Erfolge auf lokaler, regionaler und europäischer Ebene ein, ehe sie sich 2013 erstmals landesweit zur Wahl stellte. Aus dem Stand heraus errang die Formation aus unerfahrenen Außenseitern 25 Prozent der Stimmen. Die Wählerinnen und Wähler kamen zur einen Hälfte von den Linken, zur anderen aus dem ehemaligen Berlusconi-Lager.

Der M5S punktet vor allem bei den Jungen und jenen, die sich abgehängt fühlen; und ganz besonders gut schneidet er im vernachlässigten Süden Italiens ab. Seit Berlusconi hat kein Politiker mehr die behäbige Parteienlandschaft Italiens so stark aufgerührt wie die "Grillini". So heißen die Parteiträger der Bewegung, was übersetzt "kleine Grillen" bedeutet – vor allem aber die Hörigkeit gegenüber Grillo, "der Grille", andeutet.

Dieser selbst beharrt darauf, seine Bewegung kenne keine Chefs, er bezeichnet sich nur als deren "Garant": Er ist im Besitz des Blogs der Partei, des wichtigsten Kommunikationsmittels, sowie der Urheberrechte auf ihr Symbol. Ausnahmen vom generellen Interviewverbot für Parteiträger erteilt nur Grillo persönlich. Wer die Partei verlässt, dem drohen Geldstrafen; wer bei Abstimmungen von der offiziellen Linie abweicht, muss mit dem Rausschmiss rechnen.

Grillo selbst tritt nicht an

Der autoritär agierende Schöpfer gibt den Kurs vor, tritt aber selbst nicht an. Er hat eine Kandidatur aufgrund einer alten Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung bei einem Autounfall stets ausgeschlossen – und zwar schon lange bevor das italienische Wahlgesetz sie verboten hat. Seit 2012 ist es strafrechtlich Verurteilten in Italien nicht mehr erlaubt, ein politisches Amt anzutreten. Weshalb Berlusconi, der ebenfalls stets im Vordergrund steht, jetzt auch nicht Premier werden kann.

Mit Grillos Erfolg verhält es sich ähnlich wie zuvor mit jenem Berlusconis: Aus der Ferne betrachtet erscheint er völlig absurd. Betrachtet man das Phänomen aber aus der Nähe, dann finden sich zahlreiche Gründe dafür. Die vielen Krisen, die Europa in den vergangenen Jahren heimgesucht haben, kulminieren in Italien.

Wirtschafts-, Finanz-, Banken-, Schulden- und Flüchtlingskrise haben das Land verändert, das ohnehin schon an vielen Stellen krankt: an der lahmenden Verwaltung, der Korruption, der Behäbigkeit der Politik. Sie haben die Einwohner, deren ablehnende Haltung gegenüber staatlichen Einrichtungen und der Elite der Gesellschaft historisch gewachsen ist, anfälliger gemacht für Schuldzuweisungen und das Versprechen, das politische System zu sprengen und von null an neu aufzubauen.

Wie schon Berlusconi hat auch Grillo ein untrügliches Gespür für den Bauch des Landes. Und dieser Bauch ist voller Frust. Er hat verstanden, dass es von Vorteil sein kann, wenn seine Bewegung sich nicht im altbekannten Spektrum verorten lässt. Von der BBC nach seinen Top-Prioritäten befragt, antwortete Grillo einmal: bessere Antikorruptionsgesetze, Mindestsicherung, Impulse fürs Wirtschaftswachstum. Bei vielen Themen, zumal bei heiklen, beziehen die Grillini lieber gar nicht Position, um nicht Gefahr zu laufen, die Protestwähler, die eben zu ihnen gefunden haben, zu vergraulen.

Bisher sind sie damit ohne Schaden davongekommen. Das Dilemma aber, das sie seit Anbeginn begleitet, ist die Frage nach dem generellen Kurs: Ein ultraorthodoxer Teil bleibt weiterhin auf Fundamentalopposition gepolt, ein anderer hat weniger Interesse an der Abrechnung mit der politischen Klasse als daran, selbst Teil davon zu sein. Mehrmals schon hat sich Grillo deshalb aus der vordersten Reihe zurückgezogen.

Keine Chance ohne Chef

Zuletzt wieder, als er ankündigte, ein von der Bewegung separates Blog zu starten. Ob nun beabsichtigt oder nicht, erleichtert das dem Spitzenkandidaten Luigi Di Maio gehörig das Leben. Di Maio ist Grillos Gegenpol: Er spricht leise, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, schaltet auch inhaltlich einige Gänge zurück.

Die Idee eines Euro-Referendums ließ er ebenso fallen wie das strikte Verbot der Parteienkooperation – was erstmals einer möglichen Koalition den Weg ebnen könnte. Dabei achten die Grillini penibel darauf, bloß nicht den Anschein einer Spaltung zu erwecken. Denn ohne Grillo, das wissen sie nur zu gut, geht es keinesfalls. (Anna Giulia Fink, 3.3.2018)