"Für die Politik gibt es zudem in Österreich schon jetzt genügend Zugriffsmöglichkeiten auf den Rundfunk, repräsentiert durch absurd viele theoretisch eigenverantwortliche Stiftungsräte, die sich dann erst wieder zu Parteifraktionen zusammenrotten": Medienwissenschafter Andy Kaltenbrunner

Foto: Carina Brunthaler

Wien – Egal wie die Nobillag-Volksabstimmung über Rundfunkgebühren in der Schweiz am Sonntag ausgeht: In Österreich beginnt eine Zukunftsdebatte über den Rundfunk "erst jetzt mit Vehemenz", sagt Medienwissenschafter Andy Kaltenbrunner (Medienhaus Wien, Akademie der Wissenschaften) im STANDARD-Interview, geführt und veröffentlicht noch vor dem Nein zu Nobillag am Sonntag. Den ORF aus dem Bundesbudget zu finanzieren, hält er für eine "schlechte Idee".

STANDARD: Beginnen wir doch grundsätzlich: Braucht man eigentlich noch öffentlich-rechtlichen Rundfunk – und wofür?

Kaltenbrunner: Idealer öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist eine Plattform, auf der nach definierten und diskutierten Qualitätsstandards unsere Gesellschaft möglichst pluralistisch verhandelt wird. In der Wirklichkeit gelingt das nicht immer und manche meinen: immer weniger. Dann wird das duale System aus privatem und öffentlichem Angebot generell in Frage gestellt. Schließlich kommen die USA oder Brasilien ja auch – fast – ohne öffentlichen Rundfunk aus. Ich behaupte: Ein bisschen mehr Public Radio und Public TV wäre für gelassenen gesellschaftlichen Diskurs auch dort nicht schlecht. Dessen Bedeutung hängt eben wesentlich vom historischen, wirtschaftlichen und politischen Umfeld ab. In kleinen Ländern wie Österreich und der Schweiz hat der öffentliche Rundfunk zudem die Aufgabe nationale, kulturelle Identität zu stiften aber auch Wertschöpfung im Kreativsektor zu unterstützen. Vieles würde sonst in gleichsprachige Nachbarstaaten abwandern oder eben ganz verloren gehen.

STANDARD: Sie haben im Auftrag der SRG 2015/16 über Qualität(en) des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geforscht.

Kaltenbrunner: Unsere Untersuchungen haben zum Beispiel gezeigt: In europäischen Ländern, wo öffentlich-rechtlicher Rundfunk eine relativ starke Rolle im dualen Mediensystem hat und ein Mindestmaß an garantierter Unabhängigkeit, gibt es in der Berichterstattung über Wirtschaft, Kultur und Politik quantitativ und qualitativ mehr Angebot als in Ländern mit schwachem öffentlichem Rundfunk, etwa in Südeuropa. Eine Aufgabe von Public Broadcast ist also die Leitfunktion für höhere Informationsstandards in der Gesellschaft.

STANDARD: Sie arbeiten und leben in Spanien und Wien. Die spanische TVE scheint aus der Entfernung kein Paradebeispiel für starken, unabhängigen öffentlichen Rundfunk zu sein.

Kaltenbrunner: Es gibt in Madrid tatsächlich eine zu starke, unmittelbare Abhängigkeit von der Politik. Zum einen durch die Finanzierung – sie erfolgt zu 100 Prozent aus Staatszuschüssen und Steuern. Vor acht Jahren wurde außerdem der TVE die Werbung gestrichen – und nicht aus dem Staatshaushalt substituiert. Wenn eine Regierung wechselt, werden meist fast unmittelbar darauf das Management und die Chefredakteure der TVE ausgewechselt. Die konservative Partido Popular hatte in der allerersten Parlamentssitzung nach ihrem Wahlsieg 2011 mit ihrer absoluten Mehrheit ein Gesetz beschlossen, dass eine absolute Mehrheit genügt, um die Generaldirektion beim Rundfunk zu bestimmen, statt wie vorgesehen eine Zweidrittelmehrheit. Und dann haben sie mit ihrer absoluten Mehrheit sofort die Rundfunk-Chefs ausgetauscht. Deren politische Abhängigkeit ist sehr viel unmittelbarer, als wir das in Österreich oder der Schweiz beobachten.

STANDARD: In Österreich ist die Finanzierung des ORF aus dem Bundesbudget gerade Thema in den Regierungsparteien.

Kaltenbrunner: Eine schlechte Idee. Budgetfinanzierung und Steuerfinanzierung bewirken zwangsläufig einen ganz unmittelbaren Zugriff von Regierung auf Rundfunk. Das jeweilige ORF-Management muss dann Jahr für Jahr mit einem Finanzminister, einem Medienminister, einem Kanzler oder einer Kanzlerin verhandeln. Das hat unmittelbar negative Auswirkungen auf die Unabhängigkeit in den Köpfen und im ganzen Mediensystem. Das ist nichts, was ich mir als Staatsbürger in Österreich wünsche. Für die Politik gibt es zudem in Österreich schon jetzt genügend Zugriffsmöglichkeiten auf den Rundfunk, repräsentiert durch absurd viele theoretisch eigenverantwortliche Stiftungsräte, die sich dann erst wieder zu Parteifraktionen zusammenrotten.

STANDARD: Es sieht so aus, als würde in der Schweiz am Sonntag eine Mehrheit gegen die Nobillag-Initative zur Abschaffung der Rundfunkgebühren stimmen. Kann sich die SRG, kann sich der öffentlich-rechliche Rundfunk dann entspannt zurücklehnen und weitermachen wie bisher?

Kaltenbrunner: Selbst wenn diese Initiative mehrheitlich abgelehnt wird, von einigen wohl nur zähneknirschend, führt das doch zu einer heftigen weiteren Diskussion, wo und wie bei der SRG gespart werden könnte, ob alle Regionalbüros wirklich notwendig sind, wo im Unterhaltungssektor gekürzt werden kann, welche Sport-Rechte den Privaten überlassen werden sollten. Diese Debatte folgt auf jeden Fall.

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SRG-Kameramann am Lauberhorn.
Foto: REUTERS/Denis Balibouse

STANDARD: Und bei einer Mehrheit für die Abschaffung der Gebühren ist Schluss mit der SRG?

Kaltenbrunner. Ohne Gebühren ist die SRG tot. Bei einer Mehrheit für NoBillag wäre das aber vermutlich noch nicht das Ende der SRG, aber der Beginn einer noch heftigeren politischen Debatte über veritable Budgetkürzungen, Leistungseinschränkungen, Senderschluss. Dann bleibt vermutlich nur noch ein Restbestand übrig. In einigen Ländern hat sich gezeigt, dass der Rundfunk durch die Kürzungen nicht gleich ganz wegfällt, aber eben enorm an Bedeutung verliert zugunsten privater Sender. In Südeuropa war vor allem Silvio Berlusconis Mediaset-Gruppe Gewinner. In der Schweiz würden vor allem internationale, deutsche Sendergruppen profitieren, weniger die privaten, regionalen Radio- und TV-Angebote.

STANDARD: Die österreichische Regierung wünscht sich einerseits möglichst hohe Verbreitung für österreichische Inhalte, andererseits möglichst niedrige oder gar keine Gebühren. Geht das zusammen?

Kaltenbrunner: Nein, das funktioniert nicht. Wer zum Beispiel eine relevante nationale Filmproduktion haben will, oder öffentlich-rechtliche Information nach überprüfbaren Qualitätsstandards, braucht in diesen kleinen Märkten mit großen gleichsprachigen Nachbarn starke öffentlich-rechtliche Sender. Die Schweizer Medienbehörde Bakom hat Szenarien gerechnet, wie sich Gebührenkürzungen auf die SRG auswirken würden. Bei einem Sechstel weniger Gebühren müssten die Eigenproduktionen um ein Drittel gekürzt werden, und viele Regionalbüros wären nicht mehr zu finanzieren. Es gäbe zwangsläufig weniger von dem, was besonders teuer ist: von Information und Dokumentation. Das sind identitätsstiftende Dinge, die dieselbe Politik als öffentlich-rechtliche Kernaufgaben definiert. Wir sagen als Medien- und Politikforscher immer: Unabhängiger Journalismus ist das Rückgrat einer aufrechten Demokratie. Da hat öffentlicher Rundfunk weitere eine wesentliche Aufgabe.

STANDARD: Hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk – in der Schweiz, in Österreich etwa – zu wenig klar gemacht, wofür er gut und wesentlich ist?

Kaltenbrunner: Ja. Er ist oft selbstgefällig und sieht sich manchmal noch unverzichtbar als Kanzelprediger. Das ist aber spätestens seit einem Vierteljahrhundert vorbei. Öffentlicher Rundfunk muss auf allen digitalen Kanälen und auch im wirklichen Leben hunderte Diskurse mit seinem Publikum eingehen. Und das auf Augenhöhe und nicht als Kundenwerbemaßnahme. Erst das rechtfertigt im 21. Jahrhundert seine privilegierte Existenz – und erklärt uns eine Gebühr. Die Schweizer Rundfunkmacher lernen das eben anlässlich der NoBillag-Debatte mühevoll und schmerzlich. Wir sehen aber gute Vorbilder für Innovation und mehr gesellschaftliche Integration von öffentlichem Rundfunk im Norden Europas. Der ORF hat da ein noch größeres Stück Weges vor sich.

STANDARD: Sonst können wir uns schon auf die NoGis-Volksabstimmung einstellen?

Kaltenbrunner: Durchaus möglich. Politisch wird das Terrain schon vorbereitet. Wer außerdem die Diskussionen in Social Media oder auch DerStandard-Foren dazu verfolgt, stellt fest: Die GIS hat kaum mehr Freunde als die spanische Inquisition. Es gibt für Public Broadcaster also keine Alternative zur ständigen Allianz mit dem Publikum. Sonst bleibt zum notdürftigen Selbsterhalt nur demokratiepolitisch Unerfreuliches: von Steuergeldern, politischen Gefälligkeiten und der Regierung abhängig zu sein. Das ist eine Abwärtsspirale: Ein politisch gegängelter Rundfunk verliert Marktanteile und letztlich auch die politische Unterstützung, weil er ja für die Wählerentscheidung unbedeutend wird.

STANDARD: Hat die NoBillag-Abstimmung Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Runkfunk im übrigen Europa – und welche?

Kaltenbrunner: Am meisten natürlich im deutschsprachigen Raum. In Deutschland wird die Haushaltsabgabe wieder diskutiert werden. In Nordeuropa hat der öffentliche Rundfunk einige Hausaufgaben früher gemacht: In Skandinavien wurden die Public Broadcaster mit digitaler Innovation, integrierten Newsrooms, neuen Aufgaben zur Interaktion mit der Gesellschaft, billigeren Produktionsstrukturen seit einem Jahrzehnt neu aufgeladen. Sie haben an Image und etwa bei Informationssendungen auch Reichweite gewonnen. Und produzieren auch gute, nationale Fiction. In der BBC läuft seit 2015 ein Budgetkürzungsprogramm um ein Fünftel des Gesamt-Etats bis 2021. In schwierig verständlichen Zeiten, etwa wegen Brexit, ist national die BBC aber für fast alle unverzichtbar. Und in Österreich? Da beginnt eine solche Zukunftsdebatte erst jetzt mit Vehemenz – ganz egal wie NoBillag am Sonntag ausgeht. Das Diskussionsniveau kann jetzt eigentlich nur besser werden. Da lachen dann alle Gebührenzahler und –zahlerinnen herzhaft gemeinsam mit den Journalisten, falls ein Minister die Qualität des ORF öffentlich daran bemisst, ob er selbst in den Nachrichten gerade vorkommt. (Harald Fidler, 3.3.2018)