Wer nach Israel kommt, begegnet unweigerlich überall den Spuren der Geschichte, die das Land heute ausmachen. Wer als Österreicher nach Israel kommt, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Wer bleibt, dem eröffnet sich ein vielschichtiges, "fast ganz normales" Land, das sich tief in die Seele gräbt. Ben und Daniela Segenreich, beide in den 1980er-Jahren von Wien nach Israel ausgewandert, haben in Israel als Korrespondenten für zahlreiche Medien gearbeitet, Ben Segenreich auch jahrzehntelang für den STANDARD. In ihrem gemeinsamen Buch schildern die beiden nicht nur ihre tiefgehenden Begegnungen mit Überlebenden des Holocaust, als Nachkommen österreichischer Juden stellen die Autoren auch die Frage, ob die Art der pädagogischen Geschichtsaufarbeitung noch zeitgemäße Wege geht. Daniela Segenreich gibt zahlreiche Einblicke in den Alltag der Familie und schildert in sehr persönlichen Anekdoten, was es bedeutet, Terror und Krieg ins tägliche Leben integrieren zu müssen oder Töchter in der israelischen Armee zu haben.

Neben biografischen Anekdoten bietet das Buch auch Rückblicke auf die Entstehung des Staates Israel und die Schlüsselmomente seiner turbulenten Geschichte. Erinnerungen an Gespräche mit Protagonisten historischer Ereignisse oder mit Zeitzeugen wie Israels berühmtestem Fotografen David Rubinger liefern einen lebendigen Blick auf Zeithistorisches. Auch der Ausblick auf die Zukunft kommt nicht zu kurz.

Gesellschaftliche Problemlagen wie das angespannte Zusammenleben mit der Minderheit der israelischen Palästinenser, Macht und Ohnmacht der Religiösen oder die mitunter von Irrtümern und Vorurteilen geprägten Außenbeziehungen des Landes werden ebenso beleuchtet wie "harmlose" Themen wie Essen oder Sprache. Höchst amüsant sind Kapitel wie "Herzl und das Schnitzel" oder Erläuterungen zu den deutschen Einsprengseln im Hebräischen.

Die Periode der ersten schwarz-blauen Regierung in Österreich bezeichnet Segenreich wegen ihrer Mitverantwortung für den "Umgang mit einer bösen bilateralen Krise" als aufregendste seines Korrespondentenlebens in Israel. Im Vergleich zu damals wirkt die israelische Reaktion auf die neuerliche FPÖ-Regierungsbeteiligung heute fast verhalten. Dieses Mal beschränkt sich Israel auf einen Boykott der FPÖ-Minister auf offizieller Ebene.

Als Tiefpunkt der österreichisch-israelischen Beziehungen aus persönlicher Sicht beschreibt Ben Segenreich übrigens die diplomatische Verstimmung rund um ein WM-Qualifikationsspiel zwischen Israel und Österreich 2001 in Tel Aviv. Im Vorfeld dieses Skandalspiels gab es laute Überlegungen der Österreicher, das Spiel wegen Sicherheitsbedenken in ein anderes Land zu verlegen. Die israelische Öffentlichkeit deutete diese als politische Provokation. Österreich gewann das Spiel in der Nachspielzeit. Zur Weltmeisterschaft reiste die Mannschaft trotzdem nicht. (Manuela Honsig-Erlenburg, 5.3.2018)