Wien – Die meisten Leute finden Spinnen eklig bis furchteinflößend. In Wirklichkeit sind die meisten von ihnen harmlos, wenn nicht sogar nützlich. Die jährliche Wahl einer "Spinne des Jahres" versucht, unser Augenmerk darauf zu lenken, dass auch diese ungeliebte Tiergruppe ein wertvoller und faszinierender Teil der Natur ist.

83 Arachnologen aus 26 europäischen Ländern wählen jedes Jahr die "Spinne des Jahres", wobei die Koordination beim Naturhistorischen Museum Wien in den Händen von Christoph Hörweg, dem Leiter der Spinnentiersammlung, liegt. Die Wahl soll einerseits helfen, eine relativ unbeliebte Tiergruppe populärer zu machen und mit Hilfe der Öffentlichkeit vermehrt Daten zu ihrer aktuellen Verbreitung zu sammeln, andererseits geht es auch darum, die Menschen generell mehr für die sie umgebende Natur zu interessieren.

Deshalb sind es nicht immer gefährdete oder besonders exotisch anmutende Arten, die in den Mittelpunkt gestellt werden, sondern oft auch häufige und relativ leicht zu entdeckende, wie die heurige Spinne des Jahres, die Fettspinne. "Man muss nicht stundenlang fahren und zahllose Höhenmeter überwinden, um sie beobachten zu können", erklärt Hörweg, "mit etwas Glück kann man sie im Keller oder sogar im Wohnzimmer finden."

Kleben, Einwickeln, Saugen

Die Fettspinne (Steatoda bipunctata) hat ihren deutschen Namen daher, dass ihr hellbrauner, meist mit einem hellen Mittelstreifen versehener Hinterleib fettig glänzt. Die Weibchen werden – wenn man die Beine nicht mitrechnet – fünf bis sieben Millimeter groß, die Männchen etwas kleiner. Die Art kommt im Freiland in Gärten, Hecken und Wäldern vor, hält sich aber auch gerne an und in Gebäuden auf. Unter Fenstersimsen sowie in stillen Winkeln und Ecken der Wohnung baut sie ihr Netz, das im Unterschied zum bekannten Radnetz der Kreuzspinnen dreidimensional ausgelegt und mit einzelnen nach unten gerichteten Fangfäden versehen ist, an deren Ende ein Klebetropfen sitzt.

Die Fettspinne hat kein Gewichtsproblem, sondern ein fettig glänzendes Hinterteil, das ihr zu ihrem Namen verholfen hat. Forscher wollen alles über ihre teils sonderbaren Fress-, Balz- und Paarungsgewohnheiten herausfinden.
Foto: Eckhard Derschmidt

Damit fängt sie Insekten, oft aber auch andere Spinnen, wie die ebenfalls in menschlichen Unterkünften lebende und mit neun bis elf Millimeter Körperlänge deutlich größere Hauswinkelspinne. Ein Beutetier, das mit einem der Klebetropfen in Kontakt kommt, bleibt hängen und baumelt in der Folge frei in der Luft. Daraufhin kommt die Spinne aus ihrem in der Nähe gelegenen Unterschlupf und überwältigt die potenzielle Nahrung, indem sie aus ihren am Hinterleib gelegenen Spinndrüsen noch mehr Seide über sie wirft. Ein zusätzlicher Biss mit den giftigen Mundwerkzeugen lähmt die Beute. Da Spinnen Nahrung nur in flüssiger Form aufnehmen können, wird diese mit Verdauungssekreten eingespeichelt und schließlich ausgesaugt.

Zirplaute durch Stacheleffekt

Netzbauende Spinnen sind im Allgemeinen recht sesshafte Tiere, die sich im oder am Netz aufhalten und auf Beute warten. Während der Paarungszeit der Fettspinne von Juni bis Oktober jedoch machen sich die Männchen auf die Suche nach willigen Weibchen. Sobald sie das Netz einer möglichen Partnerin gefunden haben, versuchen sie, sie mit Zirplauten aus ihrem Schlupfwinkel zu locken. Zu diesem Zweck haben sie am Vorderkörper eine scharfe Kante, der lange Stacheln am Hinterleib gegenüberstehen. Durch ruckartiges Auf- und Abbewegen des Hinterkörpers kommen diese beiden Regionen in Kontakt und erzeugen Geräusche mit einer Frequenz von rund 1000 Hertz.

Ist das Weibchen erfolgreich hervorgelockt, kommt es zur Paarung, und zwar, wie bei allen Spinnen, mit einer kurios anmutenden Technik: Als Begattungsorgan dienen nämlich die Pedipalpen, beinartige Tastorgane am Vorderkörper. Deren Spitzen sind bei den Männchen zu einem blasenförmigen Anhang erweitert, der wie eine Pipette funktioniert. Damit nimmt der Spinnenmann einen Spermatropfen auf und führt ihn bei der Paarung in die weibliche Geschlechtsöffnung ein.

Nach der Paarung, die über eine Stunde dauern kann, legt das Weibchen 50 bis 100 pinkfarbene Eier, die es in einen Kokon aus locker gewebter Spinnseide packt, der am Rand des Nestes befestigt wird. Bei den meisten Spinnenarten werden die Männchen übrigens während oder nach der Paarung nicht gefressen – so auch nicht bei der Fettspinne. Sie dürften allerdings nicht älter als ein Jahr werden, während man von den Weibchen annimmt, dass sie mehrere Jahre überdauern.

Harmlose Beißwerkzeuge

Für Menschen ist der Kontakt mit der Fettspinne völlig ungefährlich: Zwar sehen ihre Mundwerkzeuge unter dem Mikroskop furchterregend aus, sind aber viel zu schwach, um die menschliche Haut zu durchdringen. Das gilt im Übrigen für fast alle heimischen Spinnenarten. Eine der wenigen Ausnahmen ist der Ammen-Dornfinger, der im Sommer 2006 für ebenso große wie überzogene mediale Aufmerksamkeit sorgte.

Selbst wenn jemand gebissen wird, was sehr selten ist, wie Christoph Hörweg betont, sind die Folgen schlimmstenfalls wie bei einem Bienen- oder Wespenstich. Andererseits lieferte gerade der Ammen-Dornfinger ein schönes Beispiel dafür, dass die umfangreichen Museumssammlungen, die nie an das Licht der Öffentlichkeit gelangen, wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse liefern können: So war man überzeugt, der Ammen-Dornfinger sei im Zuge des Klimawandels 2006 das erste Mal nach Österreich gelangt, aber das stimmte so nicht: "Wir haben", so Hörweg, "am Naturhistorischen Museum ein Exemplar, das bereits 1958 in Wien, in der unteren Lobau, gefunden wurde."

Auch als Laie kann man zum Wissensschatz über Spinnen beitragen: Wer eine Fettspinne entdeckt, kann seine Beobachtung auf der Seite des Naturschutzbundes Österreich melden. Immerhin war die Hoffnung auf mehr Daten zu ihrer Verbreitung einer der Gründe für ihre Wahl zur heurigen Spinne des Jahres. (Susanne Strnadl, 12.3.2018)