Nicht die Erinnerung, sondern das Vergessen ist und bleibt die wahre Gefahr", sagte Primo Levi dereinst über die Aufarbeitung der Shoah. Ein mahnendes, nein, vielmehr ein erschütterndes Exempel des Unter-den-Teppich-Kehrens beschreibt Historiker Johannes Sachslehner anhand seiner Biografie über den als "Schlächter von Wilna" bekannten Steirer Franz Murer. Augenscheinlich wurde das bei Recherchen in dessen Heimatgemeinde Gaishorn am See. "Hier hat man offenbar beschlossen, über das Thema Franz Murer nicht mehr zu sprechen. Eine Auseinandersetzung mit seiner Person findet nicht statt", referiert Sachslehner. Und auch nicht mit der Geschichte im weiteren Sinn. Im Gegenteil: Murer sei Hetze ausgesetzt gewesen, heißt es, "Verleumdungen" und "unhaltbaren Anschuldigungen".

Angesichts der Tatsache, dass auch im Gedenkjahr 2018, acht Jahrzehnte nach dem "Anschluss", Judenhass und Antisemitismus in der österreichischen Gesellschaft noch immer lebendig wie Eiterbeulen aufbrechen, ist die Aufarbeitung des Falls Murer aktueller denn je. Johannes Sachslehners Buch "Rosen für den Mörder" beschreibt minutiös den Werdegang des steirischen Bauern, der in der litauischen Hauptstadt Vilnius zum Handlanger des Holocaust wurde – gefürchtet für seine Brutalität und seinen Sadismus. Der Versuch der österreichischen Justiz, ihn nach Jahren der Haft in der Sowjetunion auch in Österreich für seine Untaten zu belangen, scheiterte spektakulär. Der Prozess gegen Murer im Sommer 1963 endete mit einem Freispruch – ein Justizskandal, der bis heute in der Diskussion um Österreichs Haltung zur NS-Vergangenheit eine zentrale Rolle spielt. Sachslehner beweist in penibelster Detailarbeit eindeutig: "Murer war massiv an den Repressionen und Vernichtungsmaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung Wilnas beteiligt, nicht umsonst galt er bei den Insassen des Ghettos als ,Herr über Leben und Tod'. Sein Hass auf die Juden, sein Fanatismus als 'Ordensjunker' stehen außer Frage."

Die Geschichte des NS-Täters wurde nun auch von Christian Frosch verfilmt. "Murer – Anatomie eines Prozesses" mit Karl Fischer und Karl Markovics (als Simon Wiesenthal) wird die Diagonale, das Festival des österreichischen Films, am 13. März 2018 in Graz eröffnen.

Ein empörendes, besonders ungustiöses Kapitel der österreichischen Geschichte. Beklemmend. Erbärmlich. Erschütternd. Zutiefst empörend. (Gregor Auenhammer, 6.3.2018)