Wissenschaftshistoriker, Philosoph, Jazzliebhaber: Robert Frühstückl.

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Der Einmarsch deutscher Truppen in Österreich führte an den Universitäten zu umfangreichen "Reorganisationsmaßnahmen". So wurden am Mathematischen Seminar der Uni Wien etwa 36 Prozent der Lehrenden aus rassischen oder politischen Gründen entlassen. Davon betroffen waren so bedeutende Wissenschafter wie Kurt Gödel, Karl Menger, Adalbert Duschek, Eduard Helly und Alfred Tauber. Letzterer wurde in das KZ Theresienstadt deportiert, wo er 1942 starb.

"Für die nachträgliche Legalisierung dieser akademischen Massenvertreibung sorgte die 'Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums' vom 31. Mai 1938", sagt Robert Frühstückl, der sich in seiner Dissertation mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Politik am Beispiel der Mathematik während der NS-Herrschaft beschäftigt.

"Im Gegenzug gelangte mit Anton Huber ein ausgewiesener Vertreter der angewandten Mathematik ans Mathematische Seminar, das durch diese Berufung auch inhaltlich eine Neuausrichtung erfuhr." Huber habe darüber hinaus auch eine fachpolitische Agenda verfolgt, bei der es darum ging, die Teildisziplinen der Versicherungsmathematik und der mathematischen Statistik zu stärken.

In einem Schreiben vom Juli 1942 an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung verwies Huber auf die Wichtigkeit der mathematischen Statistik als Hilfswissenschaft für Biologie, Anthropologie oder Geografie. Studierenden dieser Fächer möge man doch die Möglichkeit geben, "die für die Erforschung der mannigfachen wirtschaftlichen und rassischen Verflechtungen immer stärker in Gebrauch kommenden statistischen Methoden kennenzulernen und sachgemäß anwenden zu lernen".

Von einer einseitigen Indienstnahme wissenschaftlichen Wissens durch die NS-Politik könne man, so Frühstückl, also nicht sprechen. "Es gab vielmehr ein kompliziertes Wechselspiel, an dem auch die Wissenschafter zum Teil sehr aktiv mitwirkten." Symptomatisch dafür sei die "Verkaufsrhetorik", mit der Huber den Nutzen der mathematischen Statistik etwa für die Biometrie und damit auch für die Rassenkunde beim Ministerium anpries.

"In meiner Arbeit interessiere ich mich grundsätzlich für den Forschungsalltag an österreichischen Unis während der NS-Zeit", betont der 30-jährige Wissenschaftshistoriker. "Gleichzeitig will ich am Beispiel des Mathematischen Seminars in Wien auch herausfinden, wie sich der Austausch zwischen Wissenschaft und Politik konkret gestaltet hat."

Zur Wissenschaftsgeschichte fand Robert Frühstückl über sein Masterstudium "History and Philosophy of Science" an der Uni Wien. Davor studierte er Philosophie. Faszinierend an seiner Arbeit findet er vor allem die interdisziplinäre Herangehensweise: "Die Kooperation mit Vertretern anderer Disziplinen birgt zwar gewisse Schwierigkeiten, eröffnet aber auch ganz besondere Blickwinkel", so der Jazzliebhaber und Hobby-Kontrabassist. Abgesehen von seinen Exkursionen ins Musikalische dominiert in Robert Frühstückls Welt das Wort – ob philosophisch, historisch oder literarisch geprägt. Kein Wunder, dass ihm ausgerechnet Robert Musils vielschichtiger Mann ohne Eigenschaften zum literarischen Lebensbegleiter wurde. (Doris Griesser, 11.3.2018)