Stephanie de la Barra hat den Mord an den beiden Chemikern und Uni-Assistenten Kurt Horeischy und Hans Vollmar, vor allem aber das Verfahren gegen den Täter und die Erinnerung an den Doppelmord rekonstruiert.

Mandelbaum Verlag

Wien – Von den Fächern der philosophischen Fakultät wurde die Chemie nach dem "Anschluss" 1938 besonders stark in Mitleidenschaft gezogen: Allein an der Uni Wien wurden von den 20 Professoren und Dozenten zehn entlassen, also genau die Hälfte. Acht von ihnen gelang die Flucht ins Ausland, von denen kein einziger dauerhaft nach 1945 nach Österreich zurückkehrte. Der ebenfalls entlassene Chemiker Jacques Pollak starb im August 1942 nur einen Monat nach seiner Deportation in Theresienstadt. Seine Frau Wilhelmine überlebte ihn nur um wenige Wochen.

Kurz vor dem Ende des Krieges, am 5. April 1945, wurde das Chemie-Institut in der Währinger Straße zudem Schauplatz eines politisch motivierten Doppelmordes, der Eingang in ein Buch des Schriftstellers Johannes Mario Simmel fand. In "Wir heißen Euch hoffen" (1980) schilderte der ausgebildete Chemiker und Augenzeuge, wie es zur Tat kam, der die beiden Uni-Assistenten Kurt Horeischy und Hans Vollmar zum Opfer fielen.

Mord wegen eines Mikroskops

Horeischy war im Widerstand gegen das NS-Regime organisiert, genauer: in der Gruppe Tomsk, die sich regelmäßig im Keller des Instituts traf. Als die Rote Armee vor der Eroberung Wiens stand, gab NS-Kurzzeitrektor Viktor Christian den vereinbarten Befehl zur Zerstörung eines wertvollen Elektronenmikroskops, von dem es weltweit nur 20 Exemplare gab und das den Russen nicht in die Hände fallen sollte.

Als Horeischy und Vollmar die Zerstörung verhindern wollten, erschoss der regimetreue Chemieprofessor Jörn Lange die beiden jungen Forscher. Der Täter wurde kurz nach der Befreiung Wiens verhaftet und vom Volksgericht Wien zum Tod durch Erhängen verurteilt, entzog sich jedoch der Vollstreckung durch Suizid.

Neuerliche Aufarbeitung

Die Historikerin Stephanie de la Barra hat den Strafprozess und das öffentliche Gedenken an die Tat – die aus heutiger Sicht etwas unglücklich formulierte Erinnerungstafel stammt aus dem Jahr 1947 – in einer Abschlussarbeit am Wiener Institut für Zeitgeschichte neu aufgearbeitet. Daraus ist der etwas hastig edierte Band "Das Verbrechen ohne Rechtfertigung" entstanden, der zwar einiges über die Uni Wien vor 1938 erzählt, aber leider etwas wenig von der Chemie im Nationalsozialismus und den Widerständlern.

Dieses Buch wird am 13. März ab 16 Uhr am Ort des Geschehens präsentiert. Zuvor werden dort Rektor Heinz W. Engl und Dekan Bernhard Keppler in Beisein der Chemiker Robert A. Shaw und Isaac P. Witz (die am Tag zuvor die Ehrendoktorwürde der Universität Wien verliehen bekommen) sowie des als Kind vertriebenen Chemikers und Wissenschaftshistorikers Robert Rosner eine neue Gedenkwand für die NS-Opfer Jacques Pollak, Kurt Horeischy und Hans Vollmar enthüllen. (Klaus Taschwer, 9.3.2018)