Eine afghanische Flüchtlingsfrau kümmert sich um ihre Herde in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad. Pakistan will die afghanische Flüchtlingspopulation im Land loswerden.

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Eine afghanische Familie, die mit Hilfe des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR aus Pakistan ausreist. Insgesamt rund 60.000 Afghanen verließen 2017 das Land.

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Eine Gruppe Burschen spielt auf dem Wrack eines sowjetischen Panzers nahe der afghanischen Hauptstadt Kabul. Bereits seit 40 Jahren ist Afghanistan bewaffneten Kämpfen ausgesetzt.

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Kabul/Islamabad/Wien – Friedensgespräche mit den Taliban sollen in Afghanistan ein erster Schritt in Richtung Stabilität im Land sein. Anfang März lud der afghanische Präsident die islamistische Miliz zu Verhandlungen "ohne jegliche Vorbedingungen". Die Vertreter der afghanischen Taliban sind noch eine offizielle Antwort schuldig, doch bereits diese Woche begrüßten die USA den Vorstoß. Aus dem US-Außenministerium heißt es, dass die Taliban "berechtigte Beschwerden" über die Regierungsarbeit in Kabul in Sachen Korruption und Misswirtschaft vorzubringen hätten.

Doch mehr als ein erster Schritt ist das dann auch wieder nicht. Im Jahr 2017 verzeichneten die Vereinten Nationen in einem jüngst veröffentlichten Bericht insgesamt 10.453 zivile Opfer. Das bedeutet zwar zum ersten Mal seit 2012 einen Rückgang und zwar um neun Prozent zu 2016, doch zählten die UN 23.744 "sicherheitsrelevante Vorkommnisse" im Land. Ein Rekord, wobei die Zahl nur leicht höher als im Jahr 2016 ist. Vor allem die Zahlen der Selbstmordanschläge und bewaffnete Attacken sind stark gestiegen. Ein Trend, der sich auch in den ersten Wochen des heurigen Jahres fortsetzt.

Taliban im Großteil Afghanistans aktiv

"Die Nato und die afghanische Regierung berichten regelmäßig von Siegen gegen die Taliban", erzählt Setara Hassan, eine afghanische Journalistin, die auf Einladung des VIDC, dem Wiener Institut für internationalen Dialog und Zusammenarbeit in Österreich war: "Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Da fragt man sich schon, woher die Diskrepanz kommt." Hassan zitiert eine Studie der britischen BBC, wonach die bewaffneten Kämpfer zwar nur vier Prozent des Landes unter Kontrolle halten, doch in 70 Prozent Afghanistans aktiv sind.

Fast eine halbe Million Menschen wurde durch die Kämpfe im Vorjahr neu vertrieben. "Dabei gibt es in manchen Regionen Afghanistans niemanden mehr, der noch flüchten kann", sagt Jelena Bjelica, die als Wissenschaftlerin beim Afghanistan Analyst Network engagiert ist und verweist zudem darauf, dass die Vereinte Nationen im Vorjahr Afghanistan von einem Nachkriegsland zu einem Kriegsland hochgestuft haben.

Kritik an Rückschiebungen

Kritik übt Bjelica am Bestreben von europäischen Regierungen, Afghanen wieder in ihr Heimatland rückzuschieben, wie Österreich und Deutschland das wieder machen: "Auf der einen Seite verbarrikadieren sich Ausländer in Sicherheitskomplexen in Kabul, auf der anderen Seite erklärt man die Hauptstadt für sicher." Das sei ein "ziemlich zynischer Ansatz", so die Wissenschaftlerin. Für Bjelica spielt dabei eine Rolle, "dass sich unter anderem Europa nicht eingestehen will, dass es auch nach 17 Jahren Intervention in Afghanistan keine Stabilität im Land aufbauen konnte und gescheitert ist".

Dem stimmt auch Hassan zu und plädiert gleichzeitig dafür, dass man "die Menschen Afghanistans nicht entmenschlicht". Zwar hätten fast 40 Jahre Krieg die Bevölkerung" abgehärtet", doch "handelt es sich genauso um Menschen mit Traumen, wie sie jeder Europäer erleiden würde".

Pakistan will "freiwillige Rückkehr"

Doch nicht nur Europa diskutiert über Rückschiebungen von geflohenen Afghanen, auch Nachbarland Pakistan möchte seine Flüchtlingspopulation loswerden. Offiziell spricht in Islamabad jedoch niemand von Rückschiebungen. Vielmehr wolle man die 1,4 Millionen registrierten und rund ein bis zwei Millionen undokumentierten Afghanen dazu bewegen, "freiwillig das Land zu verlassen", wie es heißt. Von Zwang will man nichts wissen.

Dass die Realität für die Afghanen im Land anders aussieht, weiß Sanaa Alimia, die zu der Situation der Flüchtlinge in Pakistan forscht: "Afghanen werden bei Polizeikontrollen schikaniert, werden eher inhaftiert und ihre Häuser nach Anschlägen in Pakistan durchsucht." Alimia spricht von "racial profiling", wobei Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft von der Polizei eher als verdächtig eingeschätzt werden.

Nachbarschaft im Gegensatz zu Regierungsmeinung

Dabei steht die offizielle Stimmung gegen die afghanischen Flüchtlinge konträr zu dem Alltag in den Nachbarschaften. "Die Menschen sind teilweise bereits seit den 70er-Jahren Nachbarn und kämpfen gemeinsam gegen grundlegende Probleme wie zu wenig Trinkwasser oder fehlende flächendeckende Elektrizität", sagt Alimia. 74 Prozent der registrierten Flüchtlinge wurden in Pakistan geboren, nur 26 Prozent kamen in Afghanistan zur Welt: "Die Leute fühlen sich vielleicht afghanisch aber sozialisiert wurden sie in Pakistan. Viele von ihnen kennen das Land ihrer Staatsbürgerschaft gar nicht."

Doch zu einer öffentlichen Solidarität mit den Afghanen kommt es nur selten. 2016 protestierten pakistanische Frauen gegen die Ausweisung ihrer afghanischen Ehemänner. Oft legen Menschen in Nachbarschaften ihr Erspartes zusammen, um afghanische Flüchtlinge ihrer Gemeinschaft aus der Haft zu holen, weiß Alimia. Doch zu groß ist die Angst vor der Polizei oder dem Militär, um offen gegen das Vorgehen der Regierung in Islamabad zu demonstrieren.

Wenig Perspektive in Afghanistan

Eine Chance auf die pakistanische Staatsbürgerschaft haben die Flüchtlinge nicht. Pakistan hat zudem nie die UN-Flüchtlingskonvention ratifiziert. Registrierte Afghanen besitzen eine Flüchtlingsausweis, der immer wieder verlängert werden muss. Alimia spricht von "adhoc-Entscheidungen" der pakistanischen Behörden. Erst Anfang des Jahres wurden die Verlängerungen auf 30 Tage beschränkt, Anfang Februar dann schließlich um weitere 60 Tage verlängert, obwohl das Ministerium für Staaten und Grenzregionen in Islamabad eine Frist von fünf Monaten empfohlen hatte. "Es braucht eine koordinierte längerfristige Lösung", sagt Alimia.

Rund 60.000 Afghanen reisten laut UN-Zählungen im Vorjahr nach Afghanistan aus. Doch das Land kann sich um die Rückkehrer nicht ausreichend kümmern, sagt die afghanische Journalistin Setara Hassan und nennt etwa die mehr als 40 prozentige Jugendarbeitslosigkeit im Land. Auch die Gleichberechtigung von Frauen macht nur wenige Fortschritte, wenn nicht sogar Rückschritte. Aus dem neuen Strafgesetzbuch, das im Februar verabschiedet wurde, wurde das Kapitel zu Gewalt an Frauen entfernt. Die UN-Mission in Afghanistan fordert, dass es mittels Ergänzung doch noch in Kraft tritt. (Bianca Blei, 9.3.2018)