Liebe als Frage der Macht – auch so kann man das Bild "Apelles malt Kampaspe" (um 1600) lesen.

Foto: Kunsthistorisches Museum Wien

Andrea Marbach, Kunsthistorikerin und Künstlerin, führt seit 19 Jahren durch die Gemäldegalerie. Als Malerin reagierte sie bereits schon einmal auf die Überpräsenz weiblicher nackter Körper in den Werken der bildenden Kunst: Sie platzierte in einer Variation auf das Manets berühmtes Picknick ("Frühstück im Grünen") einen nackten Mann.

Foto: Marbach

Wien – #MeToo bewegt. Als ikonoklastischen Akt einer Unmündigkeitsgesellschaft könnte man die Reaktion der Manchester Art Gallery im Jänner darauf bezeichnen. Um den Diskurs zu Frauendarstellungen anzuregen, hatte man ein Gemälde mit barbusigen Nymphen von John William Waterhouse abgehängt. Diskutiert wurde dann – allerdings mehr über Zensur. Und in die noch glimmende Debatte darüber, ob man Arbeiten sexuell übergriffiger Künstler ausstellen darf, passt auch eine jüngste Meldung aus Boston: Das Museum der Schönen Künste hat die Wandtexte zur Schiele-Schau "überarbeitet". Auf diesen erklärt man, warum Schieles Name zuletzt Teil der Diskussion über "sexuelles Fehlverhalten von Künstlern" war.

Die #MeToo-Bewegung hat die Wahrnehmung sensibilisiert, bestätigt die Kunsthistorikerin Andrea Marbach, die seit 19 Jahren Führungen in der Gemäldegalerie im Kunsthistorischen Museum (KHM) macht: "Man muss das Thema nur ganz zart ansprechen", dann formuliert das Publikum andere Sichtweisen. Kritik daran, dass auf maskuline Bildpolitiken in den Saaltexten nicht hingewiesen wird, hagele es jedoch nicht. #MeToo sei ja noch jung.

Beschriftungen mit über das rein Kunsthistorische hinausgehenden Kontexten sieht Marbach keinesfalls als Entmündigung des Betrachters, vielmehr wären diese "wirklich wichtig". Sinnvoll wären auch Kunstaktionen wie jene der Guerilla Girls, die vor 30 Jahren mit Plakaten wie "Do women have to be naked to get into the Metropolitan Museum?" auf Diskriminierungen aufmerksam gemacht haben. Eine neue Perspektive auf Frauendarstellungen zu werfen ist für das KHM gar nicht so neu: Schon seit 2014 gibt der Weltfrauentag Anlass zu Führungen: (Un)beschreiblich weiblich heißt die Initiative zugunsten der Hilfsorganisation Care – und Marbach ist von Anfang an dabei. "Es braucht dieses Ansprechen. Es liefert ein Aha-Erlebnis für ein Gefühl, das man schon vorher hatte."

Im Saal IX der Gemäldegalerie etwa wimmelt es nur so vor Venusdarstellungen, nackten Göttinnen und Nymphen, viele um 1600 von flämischen Meistern wie Bartholomäus Spranger geschaffen. Es sei ein Gefühl der Beklemmung, das einen in diesem Saal überkomme: Nicht allein die Nacktheit sei es, die befremdet, sondern die Art, wie Weiblichkeit präsentiert werde – "im Vordergrund, eindeutig greifbar, super erotisch, in der Gegend herum liegend oder den Betrachter fixierend". In dieser Nachbarschaft hängt auch jenes Gemälde, das Marbach als ihr "schon immer liebstes unympathisches Bild" bezeichnet: Apelles malt Kampaspe vom Flamen Jodocus van Winghe.

Foto: Kunsthistorisches Museum Wien

Bereits Plinius erzählte die Geschichte des Malers, dem Alexander der Große seine Sklavin und Geliebte Kampaspe als Modell für ein Venus-Bild zur Verfügung stellte und sie ihm schließlich sogar, als der Künstler für die Schöne entbrannte, zum Geschenk machte. Auch den Umstand dieses "Geschenks" von einem Mann an den anderen, könnte man zum Thema machen.

Das Unangenehmste an der Darstellung mit der traurig dreinblickenden und auf der Malerei des antiken Malers noch unglücklicher und wesentlich androgyner dargestellten Kampaspe sei der Stab. Ein Malstock ist mitten auf ihren Leib gerichtet. Nicht wie üblich ein mit Leder überzogenes Malutensil, mit dem der Künstler sich allerhöchstens am Rand der noch feuchten Ölmalerei oder der Staffelei abgestützt hätte, sondern ein Stab, dem ein goldener Knauf etwas herrschaftlich Repräsentables verleiht: eine unterdrückende, ja eine Geste des Besitzergreifens.

Ihr Selbstbewusstsein als Künstlerin und gebildete Frau wusste Sofonisba Anguissola (1531-1625) auch subtil zu transportieren: Ihr frühes Selbstporträt von 1554 zeigt sie mit einem kleinen Buch in der Hand, keinem Gebetbuch, wie man es ihrem Geschlecht zugestanden hätte, sondern einem lateinischen Werk zur Kunst.

Dass ein Maler nicht nur seine Rolle erfüllt, sondern dem Modell auch naherückt, quasi von ihm Besitz ergreift und die offensichtlich darunter leidende Frau als ein Objekt, das berührt werden darf, präsentiert wird, sei das Empörende. Marbachs These: In ihrem Selbstporträt hat Sofonisba Anguissola (1531–1625) sich aus gutem Grund "unantastbar" dargestellt.

Peter Paul Rubens Gemälde "Venusfest" entstand 1636/37 unter dem Eindruck des Dreißigjährigen Krieges, was auch die Darstellung beeinflusst haben könnte.

Verheulte Venus

Rubens Venusfest beschreibt Marbach etwa vor dem Hintergrund seiner Entstehungszeit während des Dreißigjährigen Krieges, sodass das Bacchanal in eher düsteren Farben zu leuchten beginnt: Vergewaltigungen, die Kollateralkriminale eines Krieges, könnten nicht nur einige besonders grob und lüstern dargestellten Satyren mit heraushängender Zunge und Bocksfüßen erklären, sondern auch, warum Venus mit den verschatteten Augen regelrecht verheult aussieht.

Aber auch die Götter irrten. Zeus, Herr des Olymps, und sein römisches Pendant Jupiter (Topoi unzähliger myhtologischer Bilder im KHM) wandten die übelste Listen an, um trotz geschmähter Liebe doch noch zu ihrem Spaß zu kommen. Als Wolke, Schwan, Goldregen oder Stier machte man sich die Begehrte gefügig. Sie waren also nichts anderes als Vergewaltiger, das brachte schon Ovid zum Ausdruck, als er schrieb, dass der Göttervater der Nymphe Io "die Ehre raubte". (Anne Katrin Feßler, 8.3.2018)