So, meine Liebe. Es kann wohl kein Zufall sein, dass der heutige Internationale Frauentag auf einen Donnerstag gefallen ist. Denn was machen wir Donnerstagabend, wenn es draußen erst langsam Frühling wird? Richtig. Wir sitzen auf dem Sofa und schauen Germany's Next Topmodel – obwohl wir das eigentlich gar nicht wollen.

Diese voyeuristische Daueraufforderung zum Mobbing junger, gutaussehender Frauen im erfolgreichen Fernsehformat. Nein, wir dürfen da nicht wegschauen. Und wir können es auch nicht. Zu anziehend ist dieses perfide Projekt, das mittlerweile in der 13. Staffel auf ProSieben ausgestrahlt wird.

Die schöne Heidi ist böse – gut für die Einschaltquoten

Was passiert da eigentlich? Die schöne Heidi ist böse, und sie wird – gut für die Einschaltquoten – immer noch böser, wenn sie etwa beim "Umstyling" vergangene Woche mit einer großen Schere in der Hand lachend hinter weinenden Mädchen steht: Schnipp, schnapp, Haare ab! Sadismus in TV-Reinkultur: Schneewittchen, Topmodel-Stiefmutter, böse Hexe.

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Foto: REUTERS / DANNY MOLOSHOK

Wer es noch nicht wusste: Hass bindet – oft noch intensiver als sein Gegenteil. Heidi Klum ist in der Brot-und-Spiele-Logik unserer Fernsehgegenwart die Scharfrichterin, der Henker, korrekter: die Henkerin, die darauf schaut, dass der (Model-)Tod schnell und sicher eintritt. Unnötige Qualen beim Opfer vermeidet sie dabei aber nicht.

Heidi und "ihre" Mädchen

Es ist also ein Leichtes, heute am Frauentag Heidi-Klum-Bashing zu betreiben. Das mittlerweile 44-jährige deutsche All-American Girl und Ex-Topmodel aus Bergisch-Gladbach, heute wohnhaft in L.A., so vorzuführen, wie sie selbst das von Sendung zu Sendung mit "ihren" Mädchen (Heidi sagt "meine Mädchen") macht. Aber so einfach ist das nicht.

Denn die "rheinische Frohnatur", als die sie immer bezeichnet wird, ist in Wahrheit eine One-Woman-Show und schafft mit beinharter Disziplin und beinharter Selbstvermarktung ein Jahreseinkommen von kolportierten 20 Millionen Dollar, hat vier Kinder und noch mehr als vier Werbeverträge, vermarktet ihre eigenen Modekollektionen (beispielsweise bei Lidl) und hat ihre Scheidung von Ehemann und Sänger Seal und eine darauf folgende Trennung von ihrem jungen Lover und Kunsthändler Vito Schnabel nach Hollywood-Maßstäben PR-technisch gut überstanden: Heidi Klum ist ein Erfolg.

Germany's next Topmodel

Selbstständige Frauen finden wir gut! Aber. Genau: Spätestens dann, wenn wir Heidis Instagram-Account durchforsten und den kleinen Videoclip von vor zwei Tagen als Vorgeschmack auf heute Abend sehen: Klum ist wieder der Boss, hat die Cowboyhosen an und ihren Spaß. Und die Mädchen? Werden in kurzen Tüllröckchen von einem wild drehenden, weißen Rodeopferd abgeworfen.

Sie sind, und das sehen die Zuschauerinnen, die Verliererinnen, egal wie weit sie kommen – und der Feminismus natürlich auch. Heidi! Schon in Folge zwei lässt du junge Frauen sich nackt am Strand wälzen und jetzt beim Rodeo-Ritt vom Pferd abwerfen. Gut, sie selbst hat auch schon jede Menge Blödsinn gemacht: Ice Bucket Challenge, Trump geküsst, Nackt-Selfie aus der Dusche gepostet. Aber: Sie selbst verdient Kohle damit – und nicht wenig.

Reiß dich mal am Riemen!

Also meine Liebe: Noch nie etwas von #MeToo oder Time's Up gehört? Klum selbst hat Töchter. Und war sie nicht gerade selbst bei der Oscar-Verleihung zu Gast? Hat Heidi Klum nicht aufgepasst, vielleicht gerade ein Selfie gepostet, als Frances McDormand ihre Rede gehalten hat? Und um hier in der Klum'schen Castingshow-Diktion zu bleiben und den Spieß einmal umzudrehen: "Meine Liebe! Reiß dich mal am Riemen! Du kannst das besser!"

Böse Frauen sind manchmal eine gute Sache, das wissen wir spätestens seit Frances McDormands Oscar-prämierter Rolle als Mildred Hayes in Three Billboards Outside Ebbing, Missouri. Aber Bosheit gegen Schwächere? Nicht so sexy. Darum schicken wir die GNTM-Chefin heute in ihr eigenes "Shootout", ein Verfahren, in dem die Mädchen um ihr Überleben zittern: Heidi gegen Klum – und gehen selbst lieber ins Kino.

Ein Foto haben wir aber trotzdem für sie! Eines, auf dem Frances McDormand zu sehen ist, stellvertretend für alle Frauen im Business, die ihre Bekanntheit sinnvoll einsetzen, zum Beispiel für eine Frauenquote in der Filmbranche – und nicht bloß für die Quote der eigenen Sendung. Einen Umstylingtipp haben wir auch: So ein Undercut (wie der von Mildred Hayes) würde Klum sicher stehen, das wäre endlich "edgy" (kantig). Schnipp, schnapp, Haare ab. Was für ein Spaß – für die Mädchen. (Mia Eidlhuber, 8.3.2018)