Europa tickt derzeit nicht richtig. Uhren von Radioweckern oder Elektroherden haben bis zu sechs Minuten Verspätung.

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Belgrad/Wien – Wer Digitalzeitanzeigen am Elektroherd oder am Radiowecker zuletzt mit der korrekten Uhrzeit verglichen hat, wird sich gewundert haben. Die Zeitmesser waren eindeutig hinten nach – bis zu sechs Minuten. Das kuriose Phänomen ergibt sich durch Frequenzschwankungen der Netzspannung. Und diese wiederum haben ihre Ursache in Serbien und im Kosovo.

Eine Digitaluhr am Handgelenk wird mit Quarzkristall gesteuert, erklärt Holger Arthaber von der Technischen Universität Wien. Die Zeitanzeige an vielen elektronischen Geräten sei aber offenbar billiger gestaltet, weshalb man schon vor Jahren dazu übergegangen sei, sie an der in Europa vereinbarten Netzfrequenz von 50 Hertz auszurichten und damit zu steuern. Die Schwingungen des Stroms sind der Taktgeber. Um die Angabe aber korrekt zu halten, muss die Frequenz im Mittel immer bei 50 Hertz liegen.

Wie Tempomat eines Autos

Der Schweizer Stromversorger Swissgrid erklärt das so: Auf ebener Straße ist es einfach, die Geschwindigkeit zu halten. Sobald aber eine Steigung kommt, muss ein Fahrradfahrer sich mehr anstrengen, um die gleiche Geschwindigkeit zu erreichen. Geht es bergab, so muss er bremsen, um die Geschwindigkeit zu halten. Im gesamten europäischen Netz sind die elektrischen Generatoren so eingerichtet, dass sie automatisch und unverzüglich auf eine Veränderung der Netzfrequenz reagieren. Je nach Verbrauch erhöhen oder senken sie ihre Leistung. Dadurch wird sichergestellt, dass die Frequenz stabil bleibt. Diese automatische Anpassung kann mit dem Tempomat eines Autos verglichen werden.

Tückische Lücken

Im Prinzip besteht also eine freiwillige Übereinkunft, zwischen Verbraucherbedarf und Erzeugermengen stets auszugleichen, sagt Arthaber. Da man aber nie sagen kann, wann es Versorgungslücken geben könnte, müssen Spitzen immer rasch geliefert werden können. Seit Anfang des Jahres gab es dabei aber Probleme.

Zwischen Serbien und dem Kosovo ist über diese Zulieferung offenbar ein Streit entbrannt, weshalb es seit Mitte Jänner zu einer Frequenz von 49,95 Hertz kam. Auf den ersten Blick kein großer Sprung, dennoch wuchs sich die Verzögerung zu einem "Weckergate" aus, wie es der "Spiegel" nennt. Der Verband der Europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSOE) forderte die Verantwortlichen auf, eine rasche politische Lösung des Problems zu finden.

Keine Blackout-Gefahr

Die Stromnetzexpertin Albana Ilo von der TU Wien erzählt, dass die Versorgungsqualität gesichert ist, wenn die unter 50 Herz fallende Frequenz innerhalb von zehn Minuten wieder über 50 liegt. Was aber in den vergangenen Wochen eben nicht der Fall war. Ilo sieht daher eine "Verschlechterung der Versorgungsqualität", immerhin könne man aber sicher sein, dass es zu keinen Blackouts komme. Wenn nämlich die Frequenz unter 47,6 Hertz fällt, dann werden Geräte kurzfristig abgeschaltet, bis der Engpass wieder behoben wird.

Österreichs E-Control-Vorstand Andreas Eigenbauer alarmiert die an sich recht harmlose Frequenzstörung aus anderen Gründen: Er sieht sie im Gespräch mit der Austria Presseagentur als "Indikator, wie knapp man an die Grenzen herangeht". Manche Staaten würden offenbar hart an den Grenzen fahren.

Heuer weniger Probleme

In der Strombranche sei die Kernfrage immer, wie sehr die einzelnen Staaten den Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage schaffen. Es gehe nicht an, Kraftwerksleistungen auf andere abzuschieben. Dass Europa im heurigen Winter weniger Versorgungsprobleme hatte als vor einem Jahr, liege daran, dass es 2018 (bisher) nur eine Woche lang klirrend kalt war, Anfang 2017 drei Wochen.

Laut Albana Ilo von der TU Wien kann auch zu viel Frequenz im Stromnetz liegen. "Dann gehen die Uhren, die am Netz hängen, kurzfristig zu schnell." Auch nicht gerade ideal, aber es würde zumindest niemand zu spät kommen. (Peter Illetschko, Michael Simoner, 7.3.2018)