Brüssel/Warschau – Polen hat den umstrittenen Umbau seiner Justiz noch einmal ausführlich gegen die Kritik der EU-Kommission verteidigt. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki übergab Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Donnerstag in Brüssel ein sogenanntes Weißbuch, das die Reformen als Fortschritt für die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung beschreibt.

Juncker will dies nun prüfen, wie sein Sprecher Margaritis Schinas sagte. Die nationalkonservative Regierung in Warschau hatte seit ihrem Amtsantritt 2015 mit etlichen Gesetzen die polnische Justiz umgebaut. Kritiker monieren, damit gewinne die Regierungspartei PiS Einfluss auf die Gerichte. Die EU-Kommission hatte deshalb nach jahrelangen Beschwichtigungsversuchen im Dezember erstmals überhaupt ein Sanktionsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge eingeleitet, aber eine Drei-Monats-Frist für eine Kurskorrektur gestellt. Diese läuft rechnerisch bis 20. März.

"Schieflage korrigieren"

Das "Weißbuch" deutet nicht auf ein Einlenken hin. Darin heißt es, die Justizreformen seien nötig, weil die Gerichte ineffizient seien und nur jeder vierte Pole in ihre Unabhängigkeit vertraue. Fast 30 Jahre nach Ende der kommunistischen Herrschaft säßen immer noch Richter von damals in den Gerichten. Bisher habe es eine Schieflage zwischen Exekutive und Judikative gegeben, weil Richter niemandem Rechenschaft schuldeten. Unabhängigkeit und ein Gleichgewicht der Gewalten würden jetzt erst hergestellt.

Polen führe Elemente ein, die in anderen EU-Ländern üblich seien, heißt es weiter. Fälle würden in Gerichten künftig weniger willkürlich verteilt, Richter weniger willkürlich von Gerichtspräsidenten versetzt. Deshalb sei es auch keine Bedrohung für den Rechtsstaat, dass der Justizminister jetzt Gerichtspräsidenten nominieren und entlassen könne.

Das Artikel-7-Verfahren gegen Polen sei nicht gerechtfertigt und könnte "anti-europäische Stimmung" und "populistische politische Kräfte" fördern, warnt Warschau. Weiterer Dialog werde sicher alle Streitigkeiten aufklären.

"Unabhängigkeit in Gefahr"

Die EU-Kommission stützte sich bei ihrer Kritik an der polnischen Justiz unter anderem auf unabhängige Rechtsexperten der Venedig-Kommission des Europarats, die im Dezember zu einem ganz anderen Schluss kamen: "Die Venedig-Kommission betont, dass die Kombination der Veränderungen (...) die negative Wirkung jeder einzelnen von ihnen verstärkt, so dass sie die Unabhängigkeit aller Teile der Justiz in Polen in ernste Gefahr bringt."

Sollte der Konflikt zwischen Brüssel und Warschau innerhalb der Drei-Monats-Frist nicht beigelegt werden, wären die 27 anderen EU-Mitgliedsländer am Zug. Sie könnten zunächst mit Vier-Fünftel-Mehrheit feststellen, dass in Polen die "eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung" von EU-Werten besteht. Deutschland und Frankreich hatten zuletzt den Druck erhöht und sich eindeutig auf die Seite der Kommission gestellt. (APA, 8.3.2018)