Marko Feingold ist der älteste Österreicher, der den Holocaust und die Brutalität der Nazischergen überlebt hat.

Foto: Mike Vogl - Vogl-Perspektive

Marko Feingold ist in der Nacht gestürzt. Diagnose: Rippenprellung. Nicht weiter tragisch, aber schmerzhaft. Den Termin mit dem STANDARD verschiebt er trotzdem nicht. Statt in seine Arbeitsräume in der Salzburger Synagoge, wo er seit 1979 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) ist, bittet er aber zu sich nach Hause. "Die Strapazen nehme ich gerne auf mich", sagt er. Unwillkürlich fällt einem der Titel seiner 2012 im Otto-Müller-Verlag erschienenen Biografie ein: "Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh."

Ihm stets zur Seite: seine zweite Frau Hanna. Mit liebevoller Strenge umsorgt sie ihren Gatten, den sie Max nennt. Auf dem Geburtsschein heißt er nämlich noch Markus. Das slowenische Marko ist erst später im Zuge einer "Namensverwirrung" auf dem Amt entstanden.

Und wenn Max einmal nicht hören will, nennt sie ihn streng "Herr Hofrat" – einer der vielen Ehrentitel, die Feingold inzwischen zuteilgeworden sind. Zuletzt wurde der längst zum Ehrenbürger der Stadt Salzburg Ernannte mit dem Toleranzpreis der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste ausgezeichnet.

Hanna Feingold koordiniert die Termine. Heuer ist der älteste Holocaust-Überlebende Österreichs ein besonders gefragter Interviewpartner. Auch, weil seine Erinnerung in die Zeit vor der Republik zurückreicht. "In die schlechte Zeit", wie er sagt, "als Sägespäne ins Brot eingebacken wurden." Eine Schweizer Fernsehstation habe gerade einen mehrtägigen Dreh beendet, "morgen kommt dann die Agence France-Presse", erzählt Frau Feingold.

Auschwitz und "Bricha"

Was Feingold zum gefragten Gesprächspartner macht, sind natürlich sein hohes Alter und die wache Erinnerung an das dunkelste Kapitel der Geschichte. Der 1913 in der heutigen Slowakei Geborene referiert bis heute als Zeitzeuge in Schulen und nimmt an Diskussionen und Gedenkveranstaltungen aktiv teil.

Selbstredend stand er auch in der Produktion "Die letzten Zeugen" von Doron Rabinovici und Matthias Hartmann am Burgtheater auf der Bühne.

In einem STANDARD-Interview 2012 hat Feingold Einblicke in die in Auschwitz, Dachau, Neuengamme und Buchenwald erlittenen Qualen gegeben: "Mir hingen hinten die Gedärme raus. Wenn ich mich setzen wollte, musste ich sie erst wieder hineinschieben." Und die Folgen: "Ich bekomme Hautausschläge, dann brechen Beulen auf, ich krieg' Wunden am Oberschenkel und in der Kniekehle. Eiter und Blut rinnen heraus."

Beitrag zur Weltgeschichte

Wenn Feingold erzählt, dann geht es aber auch um seinen Beitrag zur Weltgeschichte. Als Leiter der jüdischen Fluchthilfeorganisation "Bricha" hat er von Salzburg aus rund 100.000 Menschen zur Flucht nach Palästina verholfen und damit einen wesentlichen Beitrag zur Gründung des Staates Israel 1948 geleistet.

Nach der Befreiung: Der modebewusste Marko Feingold im Anzug.
Foto: Feingold

Wie stark der Antisemitismus auch nach 1945 in Österreich verankert war, erzählt er an zwei Beispielen. Als ihm die Behörden im Oktober 1945 keine Lkws für den Transport der aus ihrer Heimat Vertriebenen genehmigen wollten, drohte Feingold: "Entweder ich kriege die Autos, oder die Juden bleiben da!" Innerhalb weniger Minuten hatte er die Wagen.

Beispiel zwei betrifft den Umgang der SPÖ mit Nazifunktionären. 1948 machte er sich gemeinsam mit Edi Goldmann – im KZ Buchenwald Mitglied des sozialdemokratischen Lagerkomitees – mit einem Modegeschäft selbstständig. Notgedrungen: "Niemand wollte uns KZler anstellen."

Als er dann in einer SPÖ-Parteizeitung ein Inserat schalten wollte, wurde ihm dies von einem Parteisekretär einfach verweigert. "Ein Altnazi", erinnert sich Feingold. Seine Mitgliedschaft in der SPÖ wurde auch annulliert. Gerade, dass es nicht geheißen habe, "Saujud' verschwinde", sagt Feingold. Erst Jahrzehnte später wurde ihm als Wiedergutmachung die Ehrenmitgliedschaft der SPÖ verliehen.

Milde gegenüber FPÖ-Politikern

Und warum ist er selbst nicht nach Palästina gegangen? "Den Katholiken habe ich immer gesagt: ,Wenn ihr nach Rom zieht, gehe ich nach Palästina.'" Der Mann ist auch noch im hohen Alter schlagfertig.

Groll oder Verbitterung ist in Feingolds Erzählungen trotz des Erlebten nicht zu spüren. Manchen Nazis hat er verziehen. Beispielsweise der Geisler Liesl. Die Wirtin des Tauernhauses im Krimmler Achental war zwar Mitglied der NSDAP, hat aber 1947 mitgeholfen, rund 5000 Juden über die Berge nach Italien zu bringen. Feingold ist ein Mann des Dialogs. Als 2015 ein junger Salzburger verhaftet wurde, dem zahlreiche rechtsradikale Taten zur Last gelegt wurden, besuchte er diesen im Gefängnis.

Gegenüber der FPÖ hat er keine Berührungsängste, sagt er und nennt ein aktuelles Beispiel: Wenn er an der Verabschiedung des Salzburger Militärkommandanten teilnehme, treffe er nun auf einen blauen Minister. Das sei okay. Er habe es sogar seinerzeit zusammengebracht, Jörg Haider und den israelischen Botschafter zu einer Veranstaltung zu bringen. Bei Haider habe er einmal 400.000 Schilling für einen jüdischen Kulturverein herausschlagen können. Die Freude über den Coup ist Feingold heute noch anzumerken.

Rund 70 Jahre später: Zum 104. Geburtstag bekommt Marko Feingold ein Trikot geschenkt und kickt 2017 die Integrations-Fußball-WM in Salzburg an.
Foto: APA / EXPA / Stefan Adelsberger

Als Kritik am Präsidenten der Wiener Kultusgemeinde Oskar Deutsch, der Kontakte mit der FPÖ ablehnt, will Feingold das nicht verstanden wissen. Aber "die kleinen jüdischen Gemeinden in der Provinz" könnten das nicht so wie die große Gemeinde in Wien machen, argumentiert er. "Wir müssen mit allen reden."

Bei dieser Gelegenheit dementiert Hanna Feingold gleich ein aktuell kolportiertes Gerücht. Dass zum 105. Geburtstag ihres Mannes im Mai FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache als Gratulant komme, stimme nicht. "Es ist nichts geplant."

Hart in der Haltung zum Islam

Härter im Ton und in seiner Haltung wird Marko Feingold nur beim Thema Zuzug von Muslimen. Da werde "ein Arbeitender in Österreich ansässig", und neun Muslime zögen nach. Bei diesem Thema legt sich Feingold auch mit Freunden an.

Bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der Nazidiktatur 2015, als auch in Salzburg tausende Menschen aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten gestrandet waren, warnte er eindringlich vor den Geflüchteten. Viele kämen aus Ländern und Gesellschaften, wo offiziell gelehrt werde, dass man Juden umzubringen habe.

Dass unter den Besuchern der Gedenkveranstaltung auch viele in der Flüchtlingsbetreuung Aktive waren, hat Feingold nicht gestört. Im Gegenteil: Genau ihnen wollte er die Warnung ins Stammbuch schreiben. (Thomas Neuhold, 10.3.2018)