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Heil, Heil, Heil: jubelnde Österreicher 1938 beim Einmarsch der Wehrmacht in Salzburg.

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Andreas Weinek: In den Jahren unserer engen Zusammenarbeit kam es zu zahlreichen Produktionen zum Themenbereich Drittes Reich und Holocaust. Sie haben dabei eine neue Erzählform kreiert und damit hunderttausenden Zusehern Geschichte auf verständliche Weise nähergebracht, ohne dabei den Zeigefinger zu heben. Irgendwann mehrten sich allerdings die Stimmen, die sagten: Nicht schon wieder, das hatten wir doch alles schon, damit hat man uns in der Schule schon geplagt. Es machte sich – zumindest gefühlt – ein gewisses Sättigungsverhalten breit, wiewohl die Quoten Gegenteiliges signalisierten. Heute stellen wir zum einen einen erschreckenden Mangel an Bewusstsein und Wissen bezüglich der NS-Zeit fest, zum anderen merken wir aber auch, dass das Interesse an zeitgeschichtlichen Themen ungebrochen groß ist.

Guido Knopp: Geschichtsvermittlung ist, ebenso wie Politik, das Bohren dicker Bretter. Ich denke aber, dass Geschichte im Fernsehen eines kann: zeigen wie es gewesen ist, wie es zu etwas kam, wie Menschen sich auch irren können, und dass sie auch zeigen kann, wie der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, dass es in jedem Menschen Kain und Abel gibt, das Gute und das Böse. Das kann Geschichtsfernsehen im besten Sinne leisten, aber es kann nicht das Wahlverhalten von Menschen prägen. Ich stelle dennoch die These auf, dass es ein neues 1933 zumindest in Deutschland in den nächsten Generationen nicht geben wird, weil es die große Lehre gibt, dass so etwas nicht mehr vorkommen darf.

Andreas Weinek: Dieser Tage jährt sich zum 80. Mal der Anschluss Österreichs. Wir befinden uns in einer politischen Phase, in der wir in Österreich Menschen in der Regierung sitzen haben, die keinerlei Berührungsängste mit Rechtsextremen haben. Es gab eine Zusammenkunft rechtspopulistischer und rechtsextremer Vereinigungen in Oberösterreich, bei der der Grazer Vizebürgermeister der FPÖ gesprochen hat. Im Vorjahr war es der jetzige Innenminister Herbert Kickl. Haben wir so wenig bewirkt in der Zeit, in der wir Dokumentation produziert und gezeigt haben, dass Menschen nach wie vor offensichtlich nichts aus unserer Geschichte gelernt haben?

Nicht ins rechte Eck drängen

Guido Knopp: Ich beantworte das mit Ja, möchte aber gleichzeitig differenzieren. Von der FPÖ weiß ich zu wenig. Aber was die AfD angeht, darf man sie nicht pauschal in die gleiche Ecke drängen, in der die NPD ist. Bei der AfD gibt es, zumindest was die Wähler, nicht die Abgeordneten, betrifft, auch viele Enttäuschte, durchaus auch vormalige CDU- und SPD-Wähler, denen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ab 2015 nicht gepasst hat und die ihren Protest durch die Wahl dieser Partei ausdrücken wollten. Natürlich gibt es bei den Abgeordneten der AfD den einen oder anderen, bei dem man nur den Kopf schütteln kann, doch ihre Wähler darf man nicht pauschal in die gleiche braune Ecke drängen. Wir reden auch nur von einem Anteil im Bundestag von zwölf bis 13 Prozent. Die AfD ist dann am Ende, wenn in der Flüchtlingspolitik das bestehende Recht wieder durchgesetzt wird.

Andreas Weinek: Das heißt, Sie sind da eher zuversichtlich im Sinne von: Wir sind stabil genug. Wir haben gelernt. Die immer noch große Mehrheit der Bevölkerung ist immun gegen diese Entwicklung von ganz rechts außen – obwohl diese Menschen jetzt im Bundestag und Landtagen sitzen, obwohl sie sich dort oft auf unterirdische Weise äußern dürfen. Warum reüssieren vor allem im Osten rechte Parteien dermaßen?

Guido Knopp: Ich glaube, das liegt daran, dass in der Ex-DDR, den neuen Bundesländern, die schmerzhafte Aneignung von und schmerzhafte Auseinandersetzung mit Geschichte der NS-Zeit in dem Maße nie stattgefunden hat wie in der alten Bundesrepublik. Man war ja der gute, der bessere deutsche Staat. Das wurde von oben vermittelt. Man war der kommunistisch-sozialistische, völlig neue deutsche Staat, der mit der reaktionären Bundesrepublik nichts zu tun hatte. Das hat sich über die Jahrzehnte auch als gleichsam stiller Konsens durchgesetzt. Und als man in den 90er-Jahren begonnen hat, eine neue gesamtdeutsche Geschichtsvermittlung zu betreiben und von den Leuten zu verlangen, ihr müsst jetzt auch sagen: Auschwitz ist ein Teil unserer Geschichte, da hatte man es schwerer als bei unserer altbundesrepublikanischen Bevölkerung, bei der das auch bei den jungen Leuten in den Schulen Konsens gewesen ist. Das ist nicht der einzige, aber doch ein wesentlicher Grund für dieses Wahlverhalten.

Von wegen Schuldkult

Andreas Weinek: In den sozialen Medien heißt es oft, dass das, was wir betreiben, eine Art Schuldkult sei. Wie kann man die Menschen dazu hinführen, dass es mit Schuld nichts zu tun hat, sondern mit Verantwortung?

Guido Knopp: Das ist wieder dieses Bohren dicker Bretter. Ich kann da nur den guten alten Simon Wiesenthal zitieren, der mir in Wien einmal gesagt hat: "Schuld ist nicht kollektiv. Schuld ist immer individuell." Und das ist der entscheidende Punkt. Deswegen gibt es keine Kollektivschuld, aber es gibt Kollektivverantwortung dafür, dass das, was geschehen ist, nie mehr erneut geschehen darf. Deshalb haben gerade wir im wirkungsmächtigsten Medium Fernsehen die Verantwortung zu zeigen, warum, wie und weshalb es geschehen ist, was daraus geworden ist und worin Menschen sich verstricken können.

Andreas Weinek: Ich habe Umfragen gelesen, in denen eine erschreckend große Zahl an Jugendlichen angegeben hat, von Auschwitz nichts mehr zu wissen, und dass im Nationalsozialismus nicht alles schlecht gewesen sei ... Stereotype, die wir eher von den ganz Rechten kennen. Was müssen wir, tun um diese Kids medial zu erreichen? Wie müsste die Erzählform von 2018 im Vergleich zu der von vor 25 Jahren aussehen?

Guido Knopp: Wir sind im Fernsehen heute, was die formalen Möglichkeiten betrifft, natürlich weiter. Und auch die Feuilletons müssen akzeptieren, dass wir die Möglichkeiten, die wir haben, nutzen müssen, um die Menschen zu faszinieren. Beispiel Kolorierung. Wenn wir etwa eine große Serie über den dreißigjährigen Krieg des 20. Jahrhunderts, 1914 bis 1945, in 30 Folgen machen würden, dann würden wir die Leute nur erreichen, wenn wir nicht diese schwarz-weißen Zappelbilder in der originalen Geschwindigkeit zeigen, sondern sie in die richtige, normale Geschwindigkeit bringen, indem wir die Filme säubern und sorgfältig kolorieren, indem wir sie auch digitalisieren und HD-fähig machen. Dann kriegen die Bilder eine ganz andere Wirkung, ein ganz anderes Gewicht, sie kommen uns näher. Die Inhalte müssen stimmen und belegt sein, aber in den formalen Möglichkeiten können und sollen wir alles nutzen, was in den letzten 25 Jahren die Dokumentation an Fortschritten zustande gebracht hat. Wir haben nicht von ungefähr unsere große Zeitzeugenaktion vor 18 Jahren gestartet, in der wir bislang 8000 Aussagen von Zeitzeugen gesammelt haben, die sich an die Wendepunkte der Geschichte erinnern und erzählen, wie Geschichte sich auf sie ausgewirkt hat.

Das ist ein kostbarer Schatz, den man bewahren muss. Künftige Generationen werden sich nicht nur in Büchern über das 20. Jahrhundert informieren, sondern auch über die unvermittelte, unmittelbare Erinnerung von Menschen. Denn die geht ihnen näher.

Andreas Weinek: Dazu möchte ich ergänzen, dass wir natürlich verstärkt die Erzählform in den sozialen Medien nutzen müssen. Allerdings müssen wir uns da dann konkret mit Anfeindungen von Hasspostern und Holocaustleugnern auseinandersetzen, wie etwa aktuell bei "Hüter der Geschichte" oder "Die Befreier". Eine teilweise schockierende Erfahrung für unsere Onlineredaktion. Aber auch ein Indiz dafür, wie viel Aufklärungsarbeit es nach wie vor gerade durch das Geschichtsfernsehen bedarf. (Guido Knopp, Andreas Weinek, 9.3.2018)