Bild nicht mehr verfügbar.

Die Austeritätspolitik von Ministerpräsident Bojko Borissow (re.) gilt vielen als Grund für die Armut großer Teile der Bulgaren. Nun hat Bulgarien den EU-Vorsitz inne.

Foto: AP/Petrova

Sofia/Athen – Als Theaterbühne war Bulgarien immer schon stark. Zumindest seit der chaotischen Wende zur Demokratie vor einem Vierteljahrhundert. "Ginka von Pasardschik" heißt das neue Stück, welches das Publikum in diesen Tagen verblüfft. "Man glaubt, es ist vorbei, und dann kommt wieder so etwas. Sie haben nichts gelernt", sagt ein österreichischer Investor resigniert über die Mächtigen in Politik und Wirtschaft im Balkanland.

Pasardschik ist eine Provinzstadt im Süden Bulgariens und eher bekannt für seine Tomaten und Paprikaschoten. Nun aber ist Ginka Verbakowa auf den Plan getreten, scheinbar aus dem Nichts: eine 42-jährige Geschäftsfrau aus Pasardschik, die offiziell ein Familienunternehmen anführt und sich nun anschickt, den größten privaten Strombetreiber in Bulgarien, die tschechische CEZ, zu kaufen. Niemand glaubt ernsthaft, dass dies die ganze Geschichte ist.

"Ginka aus Pasardschik", wie politische Kommentatoren in Sofia sie ironisch nennen, ist nur vorgeschickt worden, um einen Deal für die Oligarchen in Bulgarien abzuwickeln. So heißt es. Und so tickt jahraus, jahrein das kleine Balkanland, das nun erstmals die EU-Ratspräsidentschaft innehat.

Der Rückzug der CEZ, die den Nordwesten Bulgariens mit Strom versorgt, darunter die Hauptstadt Sofia, aber auch den ärmsten Teil des Landes um Vidin und Montana, gilt an sich schon als ein alarmierendes Zeichen. Etwas läuft offensichtlich "falsch" in Bulgarien, sagte ein ehemaliger Direktor des tschechischen Energiekonzerns.

Staat verklagt

Ähnlich wie die niederösterreichische EVN – sie versorgt den Südwesten Bulgariens – zog CEZ den bulgarischen Staat vor das internationale Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten in Washington. Die privaten Strombetreiber klagen über massive Einflussnahmen von Regierung und Behörden. Denn der Strompreis ist ein Politikum in einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung seit dem EU-Beitritt vor elf Jahren noch ärmer, nicht wohlhabender geworden ist.

23 Prozent der Bulgaren leben der jüngsten Erhebung von 2016 zufolge unter der Armutsgrenze von gerade einmal 308 Lewa im Monat, umgerechnet 157 Euro; 2008, ein Jahr nach dem EU-Beitritt, waren es 21 Prozent. Fasst man den Armutsbegriff weiter und schließt auch jene Familien ein, die, wie Eurostat es formuliert, von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind, wächst die Zahl gar auf 40,4 Prozent. Bulgarien ist immer noch das Armenhaus in der Europäischen Union.

Vom Wirtschaftswachstum bekommt ein Teil der Bulgaren nichts mit. So liegen die Pensionen im Durchschnitt nur knapp über der Armutsgrenze. Der Großteil der mehr als zwei Millionen Pensionisten im Land überlebt nur dank des eigenen Gemüsegartens und mit der Hilfe der Kinder.

Schiwkows Leibwächter

Korruption, Oligarchenwirtschaft und – je nach politischem Standpunkt – die Austeritätspolitik des seit 2009 mit Unterbrechungen regierenden konservativen Premiers Boiko Borissow gelten als Grund für diese Stagnation. Der ehemalige Leibwächter von Staats- und Parteichef Todor Schiwkow in sozialistischen Zeiten hat sich – anders als zu Beginn gedacht – als dauerhafte Figur in Bulgariens Politik eingerichtet.

Denn Bulgarien ist ein politischer Ausnahmefall in der EU. Rechts und links gibt es in Wahrheit nicht, Ost oder West, Moskau oder Brüssel sind sehr viel wichtiger, so erklärt Hristo Iwanow, ein reformorientierter früherer Justizminister. Während Bulgariens sozialistische Partei nichts Sozialistisches an sich habe, sondern im Grund eine konservative Partei für die alternden Nostalgiker im Land sei, hätte Borissow das Machtmodell der Schiwkow-Zeit fortgeschrieben: eine bürokratische Elite, die weiß, wie sie den Machtapparat bedient, und die die Umsetzung von Gesetzen imitiert, aber ihrer eigenen Logik folgt.

"Ginka aus Pasardschik" hat mittlerweile eine Reise nach Prag angekündigt, um mit CEZ weiter zu verhandeln. Zwischen 320 und 340 Millionen Euro sollen die CEZ-Unternehmen in Bulgarien kosten – mehr als sechsmal so viel wie der Jahresumsatz, den Ginka Verbakowas Unternehmen Inercom mit Immobilien und Solarkraftwerken macht. Ein Vorvertrag ist unterschrieben, die Regierung gibt sich überrascht, und die Namen der Oligarchen, die angeblich in Wahrheit das Geld vorstrecken und die neuen Eigentümer werden wollen, zirkulieren bereits. Nur was die Bulgaren das neue Theaterstück kosten wird, steht noch nicht fest. (Markus Bernath, 11.3.2018)