Ankara – Im Prozess gegen die regierungskritische Zeitung "Cumhuriyet" hat ein türkisches Gericht die Freilassung von Chefredakteur Murat Sabuncu und Investigativjournalist Ahmet Sik angeordnet. Das meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Freitagabend nach einer ganztägigen Verhandlung des Gerichts am Hochsicherheitsgefängnis Silivri bei Istanbul. Prozessbeobachter von Amnesty International berichteten, Herausgeber Akin Atalay bleibe in Untersuchungshaft. Der Prozess solle am 16. März fortgesetzt werden.

18 Mitarbeitern der Zeitung wird Unterstützung verschiedener Terrororganisationen vorgeworfen. Zuletzt saßen drei davon in Silivri in Untersuchungshaft. Sabuncu und Atalay waren vor mehr als 490 Tagen in U-Haft genommen worden, Sik vor mehr als 430 Tagen. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen (ROG) drohen den Angeklagten bis zu 43 Jahre Haft. Die Staatsanwaltschaft hatte am Freitag die Fortsetzung der U-Haft für alle drei Inhaftierten gefordert.

Bei den Terrorvorwürfen geht es um Unterstützung der Gülen-Bewegung, der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK oder der linksextremen DHKP-C. Die türkische Regierung macht den im Exil in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich.

Härtere Strafe für Dündar

Das höchste türkische Revisionsgericht forderte am Freitag außerdem eine härtere Bestrafung des früheren "Cumhuriyet"-Chefredakteurs Can Dündar. Die Richter kassierten laut einem Medienbericht die fünfjährige Haftstrafe wegen Geheimnisverrats gegen den Journalisten. Der derzeit in Deutschland lebende Dündar sollte nach Auffassung des Gerichts stattdessen wegen "Spionage" verurteilt werden. In diesem Fall drohen Dündar 15 bis 20 Jahre Haft.

Dündar war im Mai 2016 verurteilt worden. Grund war ein "Cumhuriyet"-Artikel über verdeckte Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Rebellen in Syrien. Als Dündar während des Revisionsverfahrens auf freien Fuß gesetzt wurde, reiste er im Juli 2016 nach Deutschland aus.

Scharfe Kritik

Der "Cumhuriyet"-Prozess wird international scharf kritisiert und gilt als Testfall für die Pressefreiheit in der Türkei. Seit dem versuchten Militärputsch wurden in der Türkei mehr als 55.000 Menschen unter dem Verdacht festgenommen, zur Gülen-Bewegung zu gehören. Erst am Donnerstag wurden 25 Journalisten wegen mutmaßlicher Verbindung zu dem Putsch zu Haftstrafen von bis zu siebeneinhalb Jahren verurteilt.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt der EU-Beitrittskandidat Türkei auf Platz 155 von 180 Ländern. Dutzende Journalisten sind im Gefängnis. (APA, 9.3.2018)