Das Klimaphänomen El Niño vorhersagen – dabei soll eines helfen: die "reine" Mathematik.

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Mathematiker Adrian Constantin untersucht Wechselwirkungen von Oberflächenwellen, internen Wellen und Strömungen am Äquator.

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Regenfälle an der südamerikanischen Küste, Trockenheit im Amazonas, Dürre in Ostafrika: Im Winter 2015 wütete der drittstärkste El Niño seit 65 Jahren. Das Klimaphänomen geht auf eine veränderte Strömung im Pazifik zurück, die alle vier bis fünf Jahre um Weihnachten herum – daher der Name El Niño (Christkind) – an der Küste von Peru auftritt. Die Folgen für Mensch und Natur sind oftmals verheerend. Der letzte El Niño brachte Wetterextreme, die in weiten Teilen der Erde Viehsterben, Nahrungsmittelknappheit und Hunger zur Folge hatten.

Mit "reiner" Mathematik

Um auf das Klimaphänomen entsprechend reagieren und Präventionsmaßnahmen in die Wege leiten zu können, braucht es vor allem eines: Vorhersagen. Dazu möchte der Uni Wien-Mathematiker Adrian Constantin mit seinem aktuellen WWTF-Projekt beitragen. Was er sich dafür zunutze macht, ist die "reine" Mathematik. "Für genaue Vorhersagen, muss man die Daten systematisch in einen theoretischen Bezug stellen", lautet sein Credo.

Eine Welle in den Tiefen des Pazifiks

Die Forschung des Wissenschafters beginnt mit einer Tiefenströmung im Pazifik: "Wegen des ganzjährig hohen Sonnenstands am Äquator ist die Sonneneinstrahlung stark und wärmt die Wasseroberfläche auf. Die Wärme dringt aber nur 100 bis 200 Meter in den Ozean vor, die darunter liegenden Wasserschichten sind deutlich kühler. Mit der Temperatur ändert sich auch die Dichte. Wenn die zwei Schichten unterschiedlicher Dichte aufeinandertreffen, entsteht aufgrund von Störungen eine interne Welle. Die Welle ist bis zu 40 Meter hoch, über 100 Kilometer lang und fließt – anders als die Wellen an der Oberfläche – über 10.000 Kilometer von Westen nach Osten."

Was hat die Tiefenströmung im Pazifik mit El Niño zu tun?

Mit seinem Projekt schließt Constantin eine Forschungslücke: "In keinem mir bekannten theoretischen Modell wird die äquatoriale Tiefenströmung berücksichtigt", so Constantin. Aus genau dieser Tiefenströmung aber möchten Constantin und sein Team Wetteranomalien, bedingt durch El Niño, ableiten. Dafür berechnen sie mithilfe von Messwerten die genauen Geschwindigkeiten der Tiefenströmung, erstellen Simulationen, vergleichen die Ergebnisse und fertigen Modelle an. Anhand derer kann zwar nicht vorhergesagt werden, wann ein El Niño auftritt, aber sie sollen Aufschluss darüber geben, in welcher Stärke er sich ausbreitet.

Theorie aus Wien, Messwerte aus Stanford

Für die Messwerte aus dem Pazifischen Ozean muss Constantin sein Büro am Oskar-Morgenstern-Platz übrigens nicht verlassen: "Die Daten stammen von meinen KollegInnen von der Stanford University. Sie betreiben Forschungsschiffe, mit denen ganzjährig und konstant Messungen durchgeführt werden. Für uns sind vor allem die Daten zu den Wellen im Ozean relevant – ihre Geschwindigkeiten, Tiefe und Größe."

El Niño und der Klimawandel

Das Klima wandelt sich und Wetterextreme werden häufiger. Doch welchen Einfluss hat das veränderte Klima auf El Niño? "Die El Niño-Phänomene werden stärker, das zeigt das verheerende Ereignis von 2015. Außerdem wird die Reichweite größer: Wenn starke Regenfälle in Südamerika den Himmel runterkommen, beeinträchtigt das die globale Luftzirkulation und ist auch in Asien und Europa spürbar."

Natur vor Abstraktion

Naturphänomene mit Praxisbezug interessieren den Mathematiker nicht erst seit seinem WWTF-Projekt. Bereits im Rahmen eines ERC-Projekts von 2010 untersuchte Constantin Wasserwellen mit Wirbelverteilung, die für die Vorhersage von Tsunamis relevant sind. "Die Fragestellungen aus der Natur haben Struktur und Schönheit an sich, abstrakte Konstruktionen ohne Bezug zur physikalischen Realität sind für mich weitaus weniger interessant", so Constantin über sein Forschungsfeld.

Unter der Wasseroberfläche

Der Forschergeist ist bei Adrian Constantin selbst im Urlaub mit dabei. Als leidenschaftlicher Taucher beschäftigt er sich auch in seiner Freizeit mit Wasser und Wellen. "Als Kind habe ich davon geträumt zu fliegen. Ich glaube, dass Tauchen diesem Gefühl sehr nahekommt", so Constantin: "Da unten, in 20 oder 30 Metern Tiefe, sind Veränderungen an der Wasseroberfläche spürbar. Wenn sich beispielsweise ein Boot nähert, ändert sich der Druck – alles hängt in einem feinen Konstrukt zusammen." (uni:view, 7.3.2018)