Der Darm eines erwachsenen Menschen vom Magenpförtner bis zum After ist zwischen 5,5 und 7,5 Meter lang. Theoretisch können nahezu überall Entzündungsherde entstehen. Sie machen den Betroffenen das Leben schwer.

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Wer an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED) wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn erkrankt, leidet täglich. In Österreich sind das schätzungsweise 60.000 bis 80.000 Menschen – vom Kleinkind bis zum älteren Menschen. Die Betroffenen müssen einen Alltag bewältigen, zu dem starke Bauchkrämpfe, blutige Durchfälle und zig unangenehme Toilettengänge gehören. Ihre Lebensqualität ist immens beeinträchtigt. Ein Schicksal, das weltweit immer mehr Menschen teilen. Gerade auch die Zahl der erkrankten Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat zugenommen.

Es gibt nicht die "eine" Ursache. Die Forschung arbeitet sehr intensiv daran, die genauen Mechanismen der CEDs aufzuklären. Als sicher gilt, dass bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen mehrere sich gegenseitig beeinflussende Komponenten eine Rolle spielen. "Mittlerweile kennen wir über 250 genetische Varianten, die mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa assoziiert sind. Hinzu kommen immunologische Faktoren, ein in höchster Bereitschaft befindliches Darmimmunsystem und Umweltfaktoren wie etwa Ernährung und Rauchen", sagt der Gastroenterologe und CED-Experte Walter Reinisch von der Universitätsklinik für Innere Medizin an der Med-Uni Wien, wo er am AKH eine Arbeitsgruppe für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen leitet.

In Stadt und Land

Aber auch Medikamente, zu intensive Hygiene und eine zu geringe Konfrontation mit Umwelteinflüssen im Kindesalter sind relevant. Eine bevölkerungsbasierte kanadische Kohortenstudie hat untersucht, ob es Unterschiede zwischen Landkindern und Stadtkindern gibt. Es zeigte sich, dass Kinder, die auf dem Land aufwachsen, seltener an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa erkranken als Stadtkinder. Das Erkrankungsrisiko war auf dem Land – vor allem in den ersten zehn Lebensjahren – um etwa zehn Prozent niedriger als in der Stadt. "Vermutlich hängt dies mit diversen Umwelteinflüssen zusammen, die sich auf die Bakteriengemeinschaft und das Immunsystem im Darm auswirken", so Samuel Huber, Spezialist für Molekulare Immunologie und Gastroenterologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Zu den relevanten Umwelteinflüssen gehören möglicherweise auch Nahrungszusätze wie bestimmte Nanopartikel. Eine von dem Gastroenterologen Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich mit Mäusen durchgeführte Untersuchung lieferte Hinweise, dass ultrawinzige Titandioxidpartikel (E171) in der Nahrung Darmentzündungen fördern können. Titiandioxidpartikel sind unter anderem in Joghurtdressings, Schokolinsen, Dragees oder Kaugummis enthalten, zudem in Sonnencreme und Zahnpasta.

"Weiterhin ist nach unserem derzeitigen Kenntnisstand das Mikrobiom von zentraler Bedeutung. Menschen mit CED haben eine weniger diverse und anders zusammengesetzte Bakteriengemeinschaft im Magen-Darm-Trakt als gesunde Menschen", berichtet Reinisch. Aber, so der CED-Experte, letztendlich wisse man noch nicht, was hier Henne und was Ei ist, denn Entzündung, Genom und Mikrobiom beeinflussen sich gegenseitig.

Darmflora regulieren

Auf den Darmschleimhautzellen befindet sich Schleim (Mukus). Er ist ein Reservoir körpereigener Antibiotika, der sogenannten Defensine. Diese Defensine regulieren die Zusammensetzung der Darmflora und verhindern gleichzeitig, dass Mikroorganismen in die Darmschleimhaut eindringen können und eine Entzündung auslösen. Doch bei einer CED ist die Schleimschicht durchlässiger als normal, die Defensinmenge also kleiner. Deshalb können Bakterienbestandteile eindringen.

Reinisch sieht die beiden Erkrankungen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn als zwei "Extreme" einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung mit vielen "Mischerkrankungen" dazwischen. Beide "Extreme" können schubweise verlaufen, das heißt: Symptomfreie Zeiten wechseln sich mit Phasen ab, in denen die chronische Entzündung "aufblüht". Sie können aber auch dauerhaft symptomatisch sein. Sie betreffen den Darm häufig in unterschiedlichen Abschnitten. Colitis ulcerosa, tritt hauptsächlich im Dickdarm auf. Die Entzündung beginnt zumeist in dessen 20 Zentimeter langem Endstück, dem sogenannten Enddarm.

Der größere Teil der Colitis-ulcerosa-Patienten hat dort "nur" eine leichte bis mittelgradige Entzündung. Bei etwa 20 bis 30 Prozent der Patienten wandert die Entzündung jedoch vom Enddarm ausgehend den ganzen Dickdarm entlang. Die chronischen Entzündungen der Darmschleimhaut sind bei Colitis ulcerosa oberflächlich und führen zu Geschwüren und Blutungen. Es kommt zu blutigen Durchfällen und infolgedessen zu Blutarmut. Das Risiko für entzündungsbedingte Beschwerden an den Augen, in den Gelenken und an der Haut sowie für Darmkrebs ist erhöht. "Deshalb ist es sehr wichtig, die entzündliche Erkrankung frühzeitig konsequent zu behandeln. Sie muss weg", betont Reinisch in einem Tonfall, der deutlich macht, wie wichtig ihm das ist. Dann sei es auch möglich, das Darmkrebsrisiko klein zu halten, sowie negative Auswirkungen von Entzündungsfaktoren auf den ganzen Körper zu stoppen.

Entzündung muss weg

Während Rauchen bei Colitis ulcerosa keinen negativen Einfluss auf das Erkrankungsgeschehen hat, fördert es Morbus-Crohn-Erkrankungsschübe. Morbus Crohn kann im gesamten Darm auftreten, am häufigsten im letzten Dünndarm- und im ersten Dickdarmabschnitt. Sogar Magen, Speiseröhre und manchmal selbst der Dickdarm – eigentlich die Bastion von Colitis ulcerosa – können betroffen sein. Bei Morbus Crohn können alle Schichten der Darmwand betroffen sein, bei Colitis ulcerosa nur die Oberfläche.

Aber es gibt eben auch Zwischenformen. Bei Morbus Crohn ist es wie bei Colitis ulcerosa sehr wichtig, frühzeitig die Entzündung zu bekämpfen. "Sowohl wegen des dann verringerten Darmkrebsrisikos als auch, weil das Risiko für Fisteln und Darmverengungen dann kleiner ist und sich weniger tiefe Narben und Geschwüre bilden", sagt Reinisch.

Die therapeutischen Möglichkeiten seien gut, so der Wiener CED-Experte. "Es ist wichtig, die Patienten so zu behandeln, dass sie frei von Entzündungszeichen sind", rät er. Patienten sollten sich deshalb nicht von der Schulmedizin abwenden, auch wenn manchmal unmittelbare Behandlungserfolge ausbleiben sollten.

Sie sollten sich trotzdem nicht allein auf die Alternativmedizin verlassen. "Es ist jedem Patienten überlassen, sein Heil auch in alternativen Behandlungsmethoden zu suchen, doch zumindest das Monitoring der entzündlichen Aktivität im Darm sollte unter Aufsicht von gastroenterologischen Experten erfolgen – außerdem sollten Kombinationen mit geprüften und zugelassenen Medikamenten erwogen werden", so Reinisch. Tatsächlich erweitern sich die therapeutischen Möglichkeiten stetig. Im klinischen wissenschaftlichen Bereich gibt es laut dem Wiener Mediziner – gerade auch am AKH – eine Vielzahl von therapeutischen Alternativen im Rahmen klinischer Studien. (Gerlinde Felix, 13.3.2018)