Wien – Für Touristen sind die heruntergekommenen Motels in der Nähe von Disney World in Kissimmee, Florida, eine Zumutung. Sozialhilfeempfängern, die täglich das Geld für die Miete zusammenkratzen müssen, bieten sie aber Zuflucht, vermitteln Normalität und schützen vor dem Abgleiten in die Obdachlosigkeit. Für Kinder wiederum können die zuckerlfarbenen, an Disney-Vorbilder angelehnten Bauten, ihre verlassenen Winkel und Brachflächen ein Abenteuerspielplatz sein.

Lassen sich von Erwachsenen ebenso wenig unterkriegen wie von ihrer heruntergekommenen Umgebung: Moonee (Brooklynn Kimberley Prince) und Scooty (Christopher Rivera) in "The Florida Project".
Foto: Thimfilm

Sean Bakers Spielfilm The Florida Project, der als Titel den ursprünglichen Projektnamen der Disney World trägt, eignet sich die Sichtweise der Kinder an. Die sechsjährige Moonee lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter im "Magic Castle Motel". Es sind Sommerferien. Mit ihren Freunden übt sich das lebensfrohe Energiebündel im Wettspucken, piesackt Erwachsene und legt nebenbei die Stromversorgung lahm.

Nachbarn im Futureland

Wie souverän sich Moonee in ihrer Welt bewegt, vermittelt eine schöne Szene, in der sie ihrer neu gewonnenen, bald besten Freundin Jancey ihre Umgebung erklärt. Entlang von Gebäuden, die ihre beste Zeit längst hinter sich haben, aber "Futureland" oder "Orange World" heißen, entwirft sie ein Panoptikum ihrer Nachbarn: der Bier trinkende Kriegsveteran, der Kranke mit den großen Füßen, ein Mann, der oft verhaftet wird, eine Frau, die denkt, dass sie mit Jesus verheiratet ist.

Zwar bleibt die Kamera meist auf Augenhöhe der Kinder, verliert aber die soziale Realität nicht aus dem Blick. Einmal nähert sich ein offenbar Pädophiler dem Spielplatz. Die Mutter, selbst noch mehr Kind als Erwachsene, driftet auf der Geldsuche immer mehr in die Illegalität ab.

Auf sehr sinnliche Weise vermittelt The Florida Project, wie es die Kinder schaffen, sich in einem Umfeld einzurichten, das keine Idylle ist. Wie sie Handlungen und Gesten der Erwachsenen interpretieren, in ihr Spiel hineinnehmen. Manches bleibt ihnen unverständlich, anderes wird instinktiv entlarvt.

Hausmeister Willem Dafoe

Schutz zu bieten in einer prekären Welt, versucht der unermüdliche, manchmal hilflose, aber immer humane Hausmeister Bobby, für dessen Darstellung Willem Dafoe vollkommen zu Recht für einen Oscar nominiert wurde. Zur menschlichen Wärme gesellen sich die sonnengetränkten Bilder von Kameramann Alexis Zabé, der den Hauptteil des Films klassisch auf 35-mm-Material gedreht hat.

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Wenn die Kinder über den Asphalt tollen, vermeint man dessen gespeicherte Wärme auf der eigenen Haut zu spüren. Ein unvergessliches Finale, in dem kindliche Unbändigkeit triumphiert, wurde mit Handys gefilmt.

Es sind die fulminanten Kinderdarsteller, allen voran Brooklynn Kimberly Prince als Moonee, die The Florida Project zum Ereignis machen, ihn mit Leben vibrieren lassen. Regisseur Baker hat die zwischen 1922 und 1944 produzierte Filmreihe The Litte Rascals / Die kleinen Strolche als Vorbild für seinen Film ausgewiesen. Eine gute Wahl für einen Film, der vom Titelsong Celebration an Kinder feiert, die sich mit viel Humor ihren eigenen Reim auf die Verhältnisse machen.

Real America

Zugleich reiht sich The Florida Project unter jene US-Produktionen der jüngeren Zeit ein, die auf das "Real America" und seine Randzonen fokussieren. Wie David Gordon Greens ebenfalls mit Kinder-Laiendarstellern gedrehter Film George Washington erfreut auch The Florida Project mit einem außergewöhnlich klaren Blick auf die Realität, der nichts verklärt und dennoch hoffen lässt. (Karl Gedlicka, 14.3.2018)