Das waren Zeiten, als der französische Staatspräsident Emmanuel Macron in einer Rede an der Sorbonne zur "Neugründung" der Europäischen Union aufrief. Ein regelrechtes Feuerwerk an Reformen wolle er gemeinsam mit dem wichtigsten Partner in der Gemeinschaft – mit Deutschland – auf den Weg bringen.

Kurz davor hatte Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union in Straßburg Optimismus zu versprühen versucht: Da die Wirtschaft wieder kräftig wachse, sei es höchste Zeit, die EU zukunftsfit zu machen, Investitionen, Innovationen und die Schaffung neuer, moderner Arbeitsplätze anzukurbeln. Aber auch die Vertiefung der Eurozone müsse entschlossen vorangetrieben, die Aufnahme neuer Euro- und EU-Mitglieder vorbereitet werden, ganz so, wie es die EU-Verträge vorsehen, erklärte der Kommissionspräsident.

Die wegweisenden "großen Reden" der beiden, wie es in vielen Kommentaren hieß, hatten die Wahlen zum Deutschen Bundestag eingerahmt. Und sie haben bei vielen Europäern die Hoffnung genährt, dass die Gemeinschaft in Europa dem Versinken der USA in einen grobschlächtigen ökonomischen Nationalpopulismus nach der Façon des US-Präsidenten Donald Trump etwas Positives, eine offene und solidarische Entwicklung entgegensetzen könnte.

Man müsse jetzt noch darauf warten, dass in Deutschland eine neue Regierung antrete, die den deutsch-französischen Motor in der EU durchstarten werde. Dass das in Form einer Jamaika-Koalition eigentlich nur eine Frage von einigen Wochen sein werde, hatte Kanzlerin Angela Merkel ihren EU-Partnern bei einem Sondergipfel in Brüssel nach dem Votum noch ohne Zweifel zugesichert.

Neue Krisen, Aufwind für Populisten

So kann man sich täuschen. Das alles ist keine sechs Monate her, aber vom gemeinsamen Aufbruch für ein enger zusammenrückendes Europa kann keine Rede sein. Eher im Gegenteil. Zu den drückenden Problemen, die bereits im Herbst die europäische Politik belasteten oder lähmten – der Riss in den Beziehungen zum Nato-Partner USA, der ungelöste Brexit, das Problem der illegalen Migration, Türkei, Ukraine, um nur die wichtigsten zu nennen -, sind neue Krisen dazugekommen. Die EU-Skeptiker und Rechtspopulisten, die die Eurounion, wie sie ist, zerschlagen wollen, die in Frankreich und den Niederlanden politisch gebremst schienen, feierten in Österreich und zuletzt in Italien neue Erfolge, mischen in Regierungen mit. Polen und Ungarn arbeiten gegen das gemeinsame Europa, nicht dafür. Und als wäre das alles nicht genug, haben die USA auch noch einen Handelsstreit mit den EU-Staaten begonnen.

Es sieht also eher düster aus auf dem Kontinent. Was ist nun von Deutschland, das im Gegensatz zu vielen anderen EU-Staaten wenigstens in seiner positiven EU-Ausrichtung stabil blieb, in der Union zu erwarten? Mit Sicherheit keine Wunder. Kanzlerin Merkel wird das tun, was sie in zwölf Jahren auf EU-Ebene immer gemacht hat: behutsam kleine Fortschritte erlauben, keinen großen Wurf. Macron wird sich also bescheiden müssen. Für weitreichende Reformen fehlt inzwischen einfach die Zeit. Im Mai 2019 finden EU-Wahlen statt, der Wahlkampf beginnt mit Jahresende, wenn die Parteienfamilien ihre Spitzenkandidaten gekürt haben werden, in neun Monaten.

Man wird schon froh sein müssen, wenn der EU-Austritt Großbritanniens bis dahin sauber ausverhandelt wird – ohne Riesenschaden für alle. (Thomas Mayer, 13.3.2018)