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Höchst gefragt: Arbeiter im VW-Werk in der Nähe von Posen in Polen.

Foto: Reuters / Kacper Pempel

Wien – Endlich ist es so weit. Die drei größten Volkswirtschaften der Welt – EU, USA und China – wachsen robust und, das ist wichtig, im Gleichschritt. Von der aktuellen Konjunkturwelle profitiert das zunehmend exportorientierte Osteuropa besonders stark. Doch der Boom in der Region stößt allmählich an die Grenzen des lokalen Arbeitsmarktes. Zu viele junge Talente suchen im Ausland ihr Glück, zu wenig neue kommen nach. Ein langer Schatten, der die Hoffnung auf Konvergenz mit dem Westen langfristig verdüstert.

So gut wie heute sei es in der Region seit sechs Jahren nicht mehr gelaufen, rechnet Richard Grieveson vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) bei der Präsentation der aktuellen Osteuropaprognose vor: Im Schnitt sollen die "neuen" EU-Mitglieder 2018 mit 3,9 Prozent wachsen. Das ist zwar etwas weniger als im Vorjahr, aber immer noch der beste Wert seit der Krise. Auch für die kommenden Jahre sei die Aussicht stabil.

Werkbank ohne Handwerker

Die Visegrád-Länder (Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn) verdienen mittlerweile acht von zehn Euro im Export. Ein Trend, dem die anderen östlichen EU-Länder tüchtig nacheifern. Die vorhandenen Fabriken sind beinahe voll ausgelastet. Internationale Unternehmen bauen laufend weitere Standorte, wie etwa ein neues Werk von Jaguar Landrover in der Slowakei.

In vielen Ländern der Region sollen die Investitionen in den kommenden Jahren sogar schneller wachsen als das Bruttoinlandsprodukt, schätzt das WIIW. Ein Wermutstropfen: Dem Ruf als "verlängerte Werkbank Europas" wird die Region gerecht. Vielfach sind es Produktionsschritte mit geringer Wertschöpfung, die an den Fließbändern Osteuropas ablaufen.

Im Gegensatz zu den Boomjahren vor der Krise, drohe derzeit keine Überhitzung. Ein Bremsklotz, der sich durch fast alle Länderberichte durchzieht, ist der Mangel an Fachkräften. Besonders bedenklich, wird der demografische Trend auf lange Sicht.

Im Gegensatz zur gesamten Union soll die Bevölkerung Osteuropas in den kommenden Jahrzehnten zurückgehen. Mit Geburtsraten von 1,7 Kindern pro Frau in Litauen bis 1,4 in Polen bewegt sich die Region um den gesamteuropäischen Schnitt. Viel gravierender für den Arbeitsmarkt ist der Braindrain von jungen Talenten.

In den zehn Jahren von 2015 bis 2025 soll die Erwerbsbevölkerung in Osteuropa um zehn Prozent schrumpfen. Binnen sechzig Jahren werde jeder Dritte im arbeitsfähigen Alter fehlen – in Bulgarien oder Lettland halbiere sich die Zahl sogar.

In vielen Bereichen, wie in der Autoindustrie, ist der Arbeitskräftemangel bereits heute akut. In fünf Jahren soll die Nachfrage nach Arbeitskräften das Angebot übertreffen, vermuten die Wirtschaftsforscher. Das Schicksal der osteuropäischen Aufholjagd hängt vom Umgang mit der demografischen Herausforderung ab.

Einbahnstraße Migration

Entlastung für den Arbeitsmarkt in den östlichen EU-Staaten kam in Folge der Ukrainekrise. Mangelnde Perspektiven in ihrer Heimat haben Hundertausende Ukrainer dazu bewegt, auszuwandern. Dabei gingen mehr Ukrainer in die östlichen EU-Länder, als in den Rest Europas. In Polen kamen zuletzt acht von zehn Immigranten aus dem krisengebeutelten Nachbarland. Ukrainische Migranten können den Druck auf den osteuropäischen Arbeitsmarkt zwar lindern, aber nicht voll kompensieren.

Optimisten verweisen auf den positiven Lohndruck, wenn Arbeitgeber nicht genug Mitarbeiter finden. Ein Beispiel dafür ist Polen, wo die Gehälter seit dem EU-Beitritt näher an das österreichischen Niveau aufgerückt sind als die Wirtschaftsleistung pro Kopf.

Tatsächlich erwartet das WIIW eine weitere Steigerung der Einkommen in den kommenden Jahren in der Region. Allerdings bleibt das Lohnniveau auf absehbare Zeit, auch kaufkraftbereinigt, hinter jenem im Westeuropa zurück. Sollten etwa nach dem Brexit viele Polen das Land verlassen, würden sie vermutlich nicht in ihre Heimat zurückkehren, vermutet WIIW-Ökonom Leon Podkaminer. Wer kann, wartet nicht ab, sondern geht selber auf Aufholjagd im Ausland. (Leopold Stefan, 13.3.2018)