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Ein Arbeiter pflückt frischen Salat in einer Vertical Farm in Singapur. Sie ist eine von weltweit tausenden Vertikal-Landwirtschaften.

Foto: Reuters/Su

Wien – Nach Schätzungen der Vereinten Nationen dürfte die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9,8 Milliarden Menschen steigen. Von dem rasanten Wachstum sind nicht nur einige Länder und Regionen wie Indien, Pakistan und Staaten südlich der Sahara betroffen, vor allem die Bevölkerung im urbanen Raum wird stark wachsen. Laut Uno werden 2050 rund 70 Prozent aller Menschen weltweit in Städten leben.

Eine Lösung, um die wachsende städtische Bevölkerung mit frischen Lebensmitteln zu versorgen, ist nach Einschätzung zahlreicher Experten der Anbau von Obst und Gemüse in Ballungszentren. Konkret sollen Pflanzen vertikal in und um Gebäude wachsen – Vertical Farming lautet der Fachbegriff. "Im Innenraum kann das ganze Jahr über geerntet werden, landwirtschaftliche Jobs werden in die Stadt geholt, und die Pflanzen wachsen ohne Krankheiten auf", fasst Dickson Despommier, der als einer der Gründerväter des vertikalen Anbaus gilt, die Vorteile zusammen.

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Salate und Kräuter wachsen in den vertikalen Beeten besonders gut.
Foto: Reuters/Segar

Es gibt mehrere Möglichkeiten, Pflanzen vertikal anzubauen. Der Großteil erfolgt ohne Erde, das Gemüse wird meist über die Wasserversorgung mit den notwendigen Nährstoffen versorgt. Die Pflanzen wachsen in Beeten, die eng übereinander hängen oder komplett vertikal angelegt werden.

Dadurch kann der Ertrag pro Hektar Anbaufläche im Innenraum im Vergleich zum Freiland verhundertfacht werden, so der Forscher. Die Bepflanzung benötigt dabei bis zu 90 Prozent weniger Wasser als die konventionelle Landwirtschaft. Ein weiterer Vorteil ist die geringere CO2-Belastung durch kürzere Transportwege.

Keine Pestizide

"Im Innenraum kann man auf Pestizide und Herbizide verzichten", sagt der Mikrobiologe der Columbia-Universität im Gespräch mit dem STANDARD. "Es können genau die Verhältnisse geschaffen werden, die für eine Pflanze notwendig sind."

Die Anbaumethode birgt aber auch Nachteile: Die Anlagen sind teuer, auch der Energieverbrauch ist nicht zu unterschätzen. Damit städtische Landwirte das ganze Jahr über ernten können, müssen die Pflanzen teilweise künstlich mit LEDs beleuchtet werden. "Den genauen Energieaufwand von Vertical Farms zu quantifizieren ist schwierig", sagt Daniel Podmirseg, Gründer des Vertical-Farm-Instituts in Wien.

Unterschiedliche Anforderungen

Während Pilze sowie manche Pflanzen wie Spargel kaum Licht benötigen, müssen etwa Tomaten stark beleuchtet werden. Die künstliche Lichtversorgung einer Tomatenpflanze über eine Kulturfolge hat in etwa den gleichen Energieaufwand wie ein "schlecht isoliertes Haus aus den 1960er-Jahren", rechnet der Wissenschafter vor.

Derzeit wird erforscht, wie der Einsatz von natürlichem Licht und erneuerbaren Energien den Energiebedarf reduzieren kann. So könnte in Island Erdwärme als Energiequelle eingesetzt werden, in Österreich Wind- oder Wasserkraft. Bei der Forschung vorne dabei ist auch der Bruder des Tesla-Gründers, Kimbal Musk.

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Eine Vertical Farm in New Jersey: Hier wachsen Salatköpfe mit LED-Beleuchtung.
Foto: Reuters/Segar

Das Vertical Farming befindet sich längst nicht mehr in den Kinderschuhen. Bereits seit den 1990er-Jahren versuchen Wissenschafter den Anbau im städtischen Bereich voranzutreiben. Dazu müssen Gebäudestrukturen optimal eingesetzt werden, sagt Podmirseg. Die Auswahl der Pflanzen spielt dabei eine große Rolle: "Nicht jedes Gebäude ist für alle Pflanzensorten geeignet." Der Anbau von Getreide sei im Innenraum beispielsweise nicht sinnvoll.

Tausende Farmen weltweit

Während es Anfang der 2000er-Jahre nur eine Handvoll Vertical Farms gab, sind es heute weltweit mehrere tausend. Vor allem in Japan ist die Methode beliebt – nicht zuletzt, weil durch das Reaktorunglück in Fukushima Agrarflächen stark kontaminiert wurden. Seither fördert die Regierung die Landwirtschaft im Innenraum.

"Vertical Farming wird aber nie mit der konventionellen Landwirtschaft in Konkurrenz treten", sagt Podmirseg. Eine Kombination beider Anbaumethoden könnte Ballungszentren nach Ansicht der Wissenschafter künftig jedoch besser versorgen: "Städte könnten bis zu 50 Prozent ihrer benötigten Kalorien selbst züchten", sagt Despommier. (Nora Laufer, 15.3.2018)