Bild nicht mehr verfügbar.

Besuch im Berliner Schloss Bellevue: Dort bekam Angela Merkel von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihre Ernennungsurkunde

Foto: Reuters / Fabrizio Bensch

Was für ein Gekicher auf der Besuchertribüne des Deutschen Bundestages. Da stehen die künftigen Ministerinnen Julia Klöckner (CDU/Landwirtschaft) und Franziska Giffey (SPD/Familie) und vergleichen ihre Kleider. Sie sind blitzblau und fast ident. Als dann noch die künftige Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) dazustößt, kommt die Heiterkeit zum Höhepunkt: Auch ihr Hosenanzug ist blitzblau.

Die drei Novizinnen in der Regierung haben kein Bundestagsmandat, müssen also den Tagesordnungspunkt eins an diesem Sitzungstag von der Besuchertribüne aus verfolgen: nämlich die Wahl der Bundeskanzlerin. Nicht weit entfernt sitzt Merkels Mutter Herlind Kasner, um mitzuerleben, wie ihre Tochter zum vierten Mal zur Kanzlerin gewählt wird.

Keine Reden

Und es gibt eine Premiere: Zum ersten Mal ist auch Merkels Ehemann, Joachim Sauer, dabei. Wie immer möchte er nichts über seine Ehefrau sagen. Diese kommt weniger später in den Plenarsaal. Bei ihren ersten drei Vereidigungen trug sie ein dunkles Ensemble, heute hat sie sich für Papstweiß entschieden. Es hat ja auch lange gedauert, bis nach der Wahl endlich (imaginärer) weißer Rauch bei den Koalitionsverhandlungen aufstieg.

Es gibt keine Reden, die Abgeordneten wählen sofort und – bis auf einen, wie sich später herausstellt – geheim. Kurz vor zehn Uhr kann Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) verkünden, dass Merkel mit 364 Stimmen zur Kanzlerin gewählt wurde. Die Unionsfraktion erhebt sich und applaudiert, die SPD bleibt sitzen, dort klatschen nicht alle.

Nur neun Stimmen mehr

Während die ersten Gratulanten mit Blumensträußen an Merkel herantreten, wird natürlich blitzschnell gerechnet: Union und SPD verfügen im Bundestag über 399 Mandate. Die Kanzlermehrheit liegt bei 355 Stimmen. Sie hat also nur neun Stimmen mehr als nötig bekommen. Mindestens 35 Abgeordnete der Groko-Fraktionen wählten sie nicht.

"Ich habe auch mit kritischen Abgeordneten bei uns gesprochen und bin mir sicher, dass wir vollständig für sie gestimmt haben", erklärt Carsten Schneider, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, wenig später im Foyer. "Da mussten wohl einige aus der CDU ihr Mütchen kühlen", mutmaßt er und erklärt auch, warum die SPD Merkel den stehenden Applaus verweigert hat: "Wir sind doch keine Claqueure."

"Holpriger Start"

Absurd findet Klöckner die Schuldzuweisung des Koalitionspartners und deutet die fehlenden Stimmen so: "Bei der SPD herrschte Chaos in der Führung, da sind viele nicht mehr mitgekommen und haben jetzt ihre Stimme verweigert." Auch der alte/neue Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) meint: "Da könnte ich fast meine Hand ins Feuer legen. Seit Adenauer wählt die CDU geschlossen, und die CSU sowieso."

Allerdings: Merkel hat auch 2005, 2009 und 2013 nicht alle Stimmen ihrer Koalition bekommen. Dennoch ist sich die Opposition einig und gibt eine schlechte Wertung für den Auftakt. "Nur neun Stimmen über dem Durst. Das ist ein holpriger Start", twittert Linken-Chefin Katja Kipping.

"So wahr mir Gott helfe"

Merkel ist da schon auf dem Weg zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der drückt ihr die Ernennungsurkunde in die Hand, dann geht es zurück in den Bundestag, wo sie die Eidesformel spricht, wieder mit dem Zusatz "so wahr mir Gott helfe".

Damit ist sie Kanzlerin. Schäuble hat auch noch was zu tun. Er verhängt gegen den AfD-Abgeordneten Petr Bystron ein Ordnungsgeld von 1000 Euro, weil der seinen eigentlich geheimen Stimmzettel – mit dem Nein für Merkel – auf Twitter veröffentlicht hat.

An die AfD hat Steinmeier wohl auch gedacht, als er der neuen Regierung noch einen Handlungsauftrag mitgibt. Er mahnt zu Anstand und Respekt bei Debatten. Wo man sie missachte, müssten "Demokraten bereit sein, sich zu zeigen und Demokratie zu schützen". Und er spricht noch jenen Satz aus, den sich an diesem Tag viele denken: "Willkommen, Bundesregierung – das wurde aber auch Zeit!" (Birgit Baumann aus Berlin, 14.3.2018)