Die britische Premierministerin Theresa May besuchte am Donnerstag den Tatort im südenglischen Salisbury, wo am 4. März Sergej Skripal und dessen Tochter mit Nervengift attackiert worden waren.

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Während Premierministerin Theresa May als Antwort auf den Nervengiftanschlag von Salisbury den Rückhalt der westlichen Verbündeten gewinnt, ist die Labour Party über ihre Haltung gegenüber Russland gespalten. Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat der Regierung die Unterstützung für deren Sanktionen gegen Moskau verweigert. Dafür wurde er am Donnerstag öffentlich von seiner verteidigungspolitischen Sprecherin Nia Griffith getadelt: "Die Position des Schattenkabinetts ist eindeutig: Wir unterstützen die Regierungsmaßnahmen."

Die Regierungschefin hatte am Mittwoch die Ausweisung von 23 als Diplomaten getarnten russischen Spionen bekanntgegeben. Die ohnehin spärlichen Kontakte mit Moskau auf Regierungsebene würden eingefroren. Auch werde ungeklärten Todesfällen russischer Exilanten auf der Insel nachgegangen. Unklar blieb hingegen, ob und in welcher Weise London gegen reiche Unterstützer des russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgehen will, die in London Milliardenwerte investiert haben. Oligarchen sowie deren Familienmitglieder haben den Konservativen binnen achtzehn Monaten rund eine Million Euro gespendet.

Am Donnerstag informierte sich May vor Ort in Salisbury über den Anschlag gegen Sergej und Julia Skripal. Beide schweben weiter in Lebensgefahr. Der Doppelagent und seine Tochter waren am vorvergangenen Sonntag bewusstlos auf einer Parkbank im Ortszentrum gefunden worden. Die Aufmerksamkeit der Ermittler richtet sich offenbar vor allem auf das Haus und den BMW des 2010 aus Russland auf die Insel gekommenen Militärexperten.

Anwendung von Nervenkampfstoff

In London veröffentlichte Mays Amtssitz eine von den USA, Deutschland und Frankreich mitunterzeichnete Erklärung. Darin wird "die erste offensive Anwendung eines militärischen Nervenkampfstoffes seit dem Zweiten Weltkrieg" als Angriff auf die Souveränität Großbritanniens sowie als Verletzung des Völkerrechts angeprangert. Man teile die britische Einschätzung, wonach Russland "mit hoher Wahrscheinlichkeit" die Verantwortung trage.

Die Solidarität der beiden größten EU-Staaten sowie der Nato wurde mit Erleichterung und Genugtuung aufgenommen. Bis Mittwoch hatten sich sowohl ein Sprecher von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wie auch das Weiße Haus von Donald Trump zurückhaltender oder widersprüchlich geäußert. Am Donnerstagnachmittag teilte der US-Präsident dann mit, es sehe "danach aus", als sei Russland der Urheber der Giftattacke. Am Freitag boykottierte Macron bei einem Besuch der Pariser Buchmesse den russischen Pavillon "aus Solidarität mit unseren britischen Freunden".

Gabriel fordert Zurückhaltung

Deutschlands Ex-Außenminister Sigmar Gabriel sagte hingegen beim Deutsch-Russischen Forum in Berlin: "Jemand ist solange unschuldig, bis jemand das Gegenteil bewiesen hat". Er verstehe die britische Besorgnis, weil der Einsatz eines chemischen Kampfstoffes zur Tötung eines Menschen ein "Skandal" sei. "Ich rate uns allerdings dazu, als Deutsche und Europäer in der Debatte sich nicht hineintreiben zu lassen in eine immer schriller werdende öffentliche Diskussion", fügte er hinzu.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete die Vorwürfe als "unbegründet und flegelhaft". Moskau bestritt zudem, das Nervengift, das offenbar bei dem Mordversuch verwendet worden war, entwickelt zu haben. Diplomatischen Gepflogenheiten gemäß dürfte Moskau eine Reihe britischer Geheimdienstler ausweisen.

Kritik an Corbyn

Erstmals seit der Wahl vor neun Monaten begehren gemäßigte Sozialdemokraten gegen den weit links stehenden Labour-Chef Corbyn auf. Der 68-Jährige hatte am Mittwoch vermieden, Russland für den Anschlag verantwortlich zu machen; stattdessen prangerte er Kürzungen im Budget des Außenministeriums an.

Selbst Verbündete, die dem britischen Patriotismusreflex ("Right or wrong: my country") kritisch gegenüberstehen, beklagten Corbyns Auftritt. Dessen Sprecher Seumas Milne goss Öl ins Feuer, indem er Salisbury mit der Kontroverse um Saddam Husseins ABC-Waffenprogramm verglich: Im Vorfeld des Irakkriegs 2003 hatten Geheimdienste von Massenvernichtungswaffen gesprochen, die sich nach dessen Sturz als nichtexistent herausstellten.

Gift aus Russland

Das bei dem Anschlag verwendete Nervengift gelangte einem Bericht zufolge womöglich im Koffer der Tochter nach Großbritannien. Wie die Zeitung "Daily Telegraph" am Donnerstagabend meldete, prüfen die Ermittler derzeit die Theorie, dass ein Kleidungsstück oder ein Kosmetikum mit dem Gift imprägniert gewesen sein könnte, oder ein Geschenk, das im Haus von Skripal geöffnet worden sei. (Sebastian Borger aus London, red, 16.3.2018)