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Der Sieg von Amtsinhaber Wladimir Putin bei der Präsidentenwahl steht bereits fest. Die Frage ist, wie hoch er ausfällt und wie viele Menschen zur Wahl gehen. Beides ist für Putin nicht unwichtig.

Foto: Reuters / Maxim Shemetov

Guten Abend, wir möchten Sie darüber informieren, dass am 18. März Präsidentenwahlen stattfinden", sagt Swetlana. Wirklich nötig haben die Moskauer die Info nicht: Reklame zur Wahl begegnet ihnen auf Schritt und Tritt: Auf allen Fernseh- und Radiosendern wird für die Abstimmung geworben, auf den neuen LED-Bildschirmen in den Polikliniken, im öffentlichen Nahverkehr und auf riesigen Plakaten entlang der Hauptstraßen. Selbst im Hauseingang weisen Aushänge auf den Termin hin. Und doch haben die städtischen Ämter ihre Mitarbeiter in die Wohnblocks geschickt, um die Wahlbeteiligung zu pushen.

70/70 – so lautet die magische Formel: 70 Prozent Zustimmung für Wladimir Putin bei 70 Prozent Wahlbeteiligung will der Kreml erreichen. "Diese Zahlen sind in einer transparenten Wahl nicht zu schaffen, dennoch wird die Präsidialadministration mit allen Mitteln darauf hinarbeiten", sagt der Politikexperte des Moskauer Carnegie-Zentrums, Andrej Kolesnikow. Die Zielsetzung liege im autoritären System begründet. "Sie wollen hohe Zahlen, Zustimmung und Liebe", ironisiert Kolesnikow.

Wahlbeteiligung steigern

So werden die Angestellten des öffentlichen Dienstes zum Urnengang quasi zwangsverpflichtet. Lehrer und Dozenten mussten sich ihren Wahlschein vorher holen, um nicht am Wohnort, sondern an ihren Schulen und Universitäten abzustimmen. Zur besseren Kontrolle. Auch viele Krankenhäuser griffen zu diesem Kniff. Dass Soldaten geschlossen unter Aufsicht ihrer Offiziere abstimmen, hat ohnehin lange Tradition. Alles dient der höheren Wahlbeteiligung.

Darum steht nun auch Swetlana um 20 Uhr nach einem langen Arbeitstag im Amt im sechsten Stock eines grauen Hochhauses in ihrem Bezirk, um die Bürger zur Wahl zu bewegen. Sie erfragt die Anzahl der Personen im Haushalt und ihre Absicht, wählen zu gehen, erzählt ihnen, dass sie nicht nur unter ihrer Meldeadresse, sondern auch unter der faktischen Wohnanschrift abstimmen können, und bietet Älteren den Service an, zu Hause ihr Kreuzchen zu machen. Es ist ein Knochenjob. Vier Etagen hat sie schon abgeklappert, fünf will sie noch machen, manche lässt sie einfach aus. "Nur etwa jeder Fünfte macht überhaupt auf, viele beschimpfen uns durch die geschlossene Tür", berichtet sie. Zum Schutz hat die zierliche alleinerziehende Mutter eine Kollegin gebeten, mitzukommen, denn abgesichert ist sie nicht – weder rechtlich noch physisch. Auch bezahlt werden die Überstunden nicht. Die Amtsleiterin hat alle Mitarbeiter mündlich zu den Rundgängen verdonnert, die Anweisung dazu kommt von höherer Stelle.

"Ich habe deswegen sogar die Kündigung eingereicht, aber die wurde ignoriert", sagt Swetlana. Am Ende fügte sie sich, denn eine andere Arbeit zu finden ist schwer. Ihr früherer Job in einem Reisebüro fiel der Krise und dem Rubelcrash zum Opfer. So klingelt sie weiter, auch wenn sie die Stimmung der Bürger gegenüber den Agitatoren als Mischung zwischen apathisch und feindselig wahrnimmt.

Keine Alternative zu Putin

Tatsächlich wächst die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Dabei wird die Außenpolitik weitgehend goutiert, doch wirtschaftliche und soziale Probleme drücken auf die Stimmung. Die Einkommen der Bevölkerung sind vier Jahre in Folge gefallen, da half auch das leichte BIP-Wachstum 2017 nicht. Selbst Putin musste jüngst einräumen, dass der Anteil der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, wieder gestiegen sei. Klein- und Mittelständler hingegen klagen über fehlende Kredite, ständige Kontrollen und Korruption.

Doch Alternativen zum derzeitigen Amtsinhaber sehen die wenigsten Russen. Nicht nur, weil die russischen Medien die Gleichung Putin = Stabilität + Stärke in den Köpfen der Mehrheit fest verankert haben. Die politische Arena ist auch leergefegt. Die Kremlpartei "Einiges Russland" produziert nur graue Bürokraten, und die Opposition wird als "fünfte Kolonne" bekämpft.

Die sieben zugelassenen Gegenkandidaten gelten ohnehin als Sparringpartner Putins. Als der Kommunist Pawel Grudinin in den Umfragen unerwartet stark zulegte, wurden ihm mit einer Schmutzkübelkampagne schnell wieder Zügel angelegt.

Und so kann der Kremlchef der Wahl am Sonntag gelassen entgegensehen. Einer weiteren Amtszeit steht nichts im Weg. Im Vergleich zur politischen Aufbruchstimmung 2011/2012 ist die Protestbewegung erlahmt, auch wenn die Opposition versucht hat, schon für den Wahlabend Demos anzumelden. Für die Russen interessanter als das Wahlergebnis am Sonntag ist die Frage, ob Putin nun in den nächsten sechs Jahren einen Nachfolger aufbaut.
(André Ballin aus Moskau, 17.3.2018)