Architekt Gustav Peichl: "Der Häupl und die Wiener Stadtplaner, ...

Foto: Robert Newald

... die sind ja alle meschugge!"

Foto: Robert Newald

Morgen, Sonntag, wird der österreichische Architekt Gustav Peichl 90 Jahre alt. Ein Gespräch über lachende Häuser, schöne Frauen, meschuggene Stadtplaner – und die politische Genügsamkeit im hohen Alter.

STANDARD: Morgen ist Ihr 90. Geburtstag. Wie geht’s Ihnen?

Peichl: Außer dass mich manchmal das eine oder andere Wehwehchen plagt, geht es mir ausgezeichnet. Ich habe ein wunderbares Alter!

STANDARD: Was ist das Wunderbare daran?

Peichl: Dass ich machen kann, was ich will. Mit der Zeit wird man genügsam und unkompliziert. Wissen Sie, in jungen Jahren führt man ein bisweilen angestrengtes Leben. Das ist jetzt vorbei. Ich kann lachen.

STANDARD: Worin waren Sie denn früher angestrengt?

Peichl: In allem! Verlangen Sie jetzt bloß nicht von mir, das alles aufzuzählen! Es würde mich depressiv machen.

STANDARD: Das Büro Peichl & Partner ist mittlerweile aufgelassen. Ihr Partner Christoph Lechner hat das Ruder übernommen. Mischen Sie sich noch operativ ins Geschäft ein?

Peichl: Manchmal mache ich Daumen hoch, und manchmal, wenn’s mir nicht gefällt, dann mache Daumen runter. Aber sonst … Nein, ich lasse die junge Generation walten. Es ist wichtig, die Welt, nachdem man selbst schon lange genug darin herumgewerkt hat, auch einmal in jüngere Hände zu legen.

STANDARD: Zeichnen Sie noch?

Peichl: Schon lange nicht mehr. Ich sehe ja fast nichts mehr. Ich habe eine Makuladegeneration. Mein Blickfeld wird immer kleiner. Da hilft dann auch die lustige Peichl-Brille bald nimmer weiter.

STANDARD: Wie geht es einem leidenschaftlichen Zeichner und Gestalter der schönen Künste mit dem schwindenden Augenlicht?

Peichl: Ganz gut. Ich habe schon so viele schöne Häuser und so viele schöne Frauen in meinem Leben gesehen, dass ich mich damit gut arrangieren kann. Ich bin ein Mensch mit viel Humor – immer schon gewesen – und habe mein Schicksal nie ernst genommen. Ich habe es in jüngeren Jahren mit Gelassenheit genommen, dass ich bei meinen Architekturkollegen immer einen schweren Stand hatte, und ich nehme es heute mit Gelassenheit, dass der Körper ein bissl garschtig zu mir ist.

STANDARD: Wie hat sich die Architektur in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert?

Peichl: Na fad und gesichtslos ist sie geworden! Es gibt ein paar talentierte Burschen und Mädels da draußen, keine Frage. Aber erstens vermisse ich die persönlichen, individuellen Handschriften, weil sich die meisten Architekten heute in Gruppen zusammentun – zu zweit, zu dritt, zu viert, zu fünft, zu sechst – und sich irgendwelche komischen Namen geben, die alle so furchtbar sind, dass ich froh bin über meine zunehmende Vergesslichkeit. Und das im Pulk geschaffene Resultat ist meist auch schwach und mittelmäßig. Da kommt nix Gutes dabei heraus. Und zweitens kann ja heute niemand mehr zeichnen. Die tun alle nur noch mit der Maus herum. Durch den Computer geht vieles verloren.

STANDARD: Was genau geht denn durch die digitale Arbeit verloren?

Peichl: Die Seele. Früher habe ich gespürt, wie ich mich durch das händische Zeichnen an die Architektur annähere. Im Skizzieren lernt man das Haus kennen, noch lange bevor es gebaut wird. Und so wird die Architektur mit jeder Zeichnung, die man macht, besser und besser. Das ist heute vorbei. Verstehen Sie mich nicht falsch! Natürlich ist der Computer eine großartige Hilfe! Aber wenn man das Maß verliert, dann geht die Hilfe auf Kosten der Kreativität.

STANDARD: Wie äußert sich dieser Kreativitätsverlust?

Peichl: Na Sie brauchen doch nur die Augen aufzumachen und durch Wien zu gehen! Was da in den letzten Jahren alles gemacht wurde mit den Dachgeschoßausbauten, mit der geplanten Aufstockung des Wien-Museums, mit dem Heumarkt-Projekt, mit den ganzen Hochhäusern, die wie Schwammerln aus der Stadt sprießen, und mit der Teichsiedlung da drüben in Aspern, ist ein Verbrechen an der Stadt. Der Häupl und die Wiener Stadtplaner, die sind ja alle meschugge!

STANDARD: Was schlagen Sie vor?

Peichl: Bitte weniger Mittelmaß und wieder mehr Erotik in der Architektur!

STANDARD: Und zwar wie?

Peichl: Na ganz einfach! Jedes gute Haus hat erogene Zonen. Das sind Zonen, die sich kitzeln lassen, die auf eine bestimmte Weise reagieren, wenn man was mit ihnen macht. Wo bitte sind diese erogenen Zonen in der zeitgenössischen Architektur? Zeigen Sie mir auch nur ein Wohnhaus der letzten Jahre, das eine gewisse Erotik an den Tag legt oder das lacht und kichert, wenn man es anschaut. Die sind alle stumm.

STANDARD: Ihre Häuser lachen.

Peichl: Ja, das hoffe ich doch! Lachen, Spitznamen und Überraschungen machen das Leben erst schön. Ich liebe es zu beobachten, wie meine Häuser rezipiert werden, wie sie plötzlich als Peichl-Torte, als Zipfelmütze, als Fledermausschule bezeichnet werden. Ist das nicht schön? Ich bin ein leidenschaftlicher Beobachter dieser Vorgänge. Ich bin ja überhaupt ein Voyeur! Nicht nur in der Architektur, sondern ganz generell im Leben. Auch bei den Frauen.

STANDARD: Was ist das Schönste, das Sie als Voyeur je beobachtet haben?

Peichl: Die Pyramiden von Gizeh, die Altstadt von Barcelona, die engen Gassln in Italien, die vielen kleinen Fachwerkhäuser in Deutschland und, ganz wichtig, Sophia Loren!

STANDARD: Haben Sie sie persönlich getroffen?

Peichl: Ja, einmal. Eine faszinierende Frau. Tolle Architektur!

STANDARD: Ich würde gerne noch einen Blick auf die Politik werfen.

Peichl: Na dann, werfen Sie!

STANDARD: 60 Jahre lang haben Sie als Ironimus in der "Presse" die österreichische Politik karikiert. Wie zufrieden sind Sie mit der aktuellen politischen Situation?

Peichl: Also derzeit bin ich recht zufrieden, weil der Kurz, den ich gut kenne, ein sehr g’scheiter, talentierter Mann ist, ein richtiger Homo politicus, der bei der Auswahl seiner Burschen geschickt gehandelt hat. Ich glaube, er wird mit dem Strache fertigwerden. Großartig, wie er das macht!

STANDARD: Fred Sinowatz, Franz Vranitzky und Wolfgang Schüssel haben von Ironimus schon giftige Karikaturen verpasst bekommen ...

Peichl: … und noch viele mehr! Elf Bundeskanzler bitte schön habe ich schon karikiert!

STANDARD: Wie würde denn Sebastian Kurz in einer Karikatur davonkommen?

Peichl: Ich muss gestehen, es würde mir schwerfallen, ihn zu karikieren. Na ja, was würde ich machen? Ich würde einen jungen, feschen und in seinen Tätigkeiten mutigen Mann mit großen Ohren zeichnen.

STANDARD: Klingt jetzt aber nicht sehr spitz ...

Peichl: Sag ich doch! Der Bursche ist in Ordnung.

STANDARD: Haben Sie einen Geburtstagswunsch?

Peichl: Was soll sich ein 90-Jähriger noch wünschen! Ich wünsche mir, dass die Meschuggenen endlich aufhören, über das Weltkulturerbe zu diskutieren, und endlich damit anfangen, gute Architektur in dieser Stadt zu machen. Und privat wünsche ich mir ein paar schöne letzte Jahre in diesem Dasein, ein paar vergnügliche Blicke als Voyeur und einen angenehmen Tod. Wie ich schon sagte: Mit der Zeit wird man genügsam und unkompliziert. (17.3.2018)