Das "Wohnzimmer Sonnwendviertel" ist über gelbe Stege in luftiger Höhe mit den anderen Wohnhäusern verbunden.

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Sogar ein Aquarium gibt es: Die Bibliothek im Erdgeschoß eines Wohnhauses ist ein beliebter Treffpunkt.

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Die Werkstatt ist der Stolz mancher Bewohner, gerade ist aufgeräumt worden.

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Rasant kreuzende Rollkoffer, gut besuchte Geschäfte – an einem Freitagnachmittag scheint der Hauptbahnhof zu brodeln. Kaum zu glauben, dass wenige Hundert Meter weiter überraschende Stille herrscht, und das in einem von Wiens größten Neubauvierteln. Besucher und Bewohner des Sonnwendviertels tauchen in eine andere Welt ein, wenn sie die neu gebauten Hotels und die Hektik der Reisenden hinter sich gelassen haben.

Bei genauerem Hinsehen ist es aber gar nicht so ruhig. Auf dem Weg ins Viertel gibt es eine Abkürzung, die unter einem geförderten Wohnbau durchführt. Dort in der Passage hat sich Lisa Zentner mit ihrem Architekturbüro Studio 101 niedergelassen – gleich gegenüber der Praxis eines Neurologen und neben einem italienischen Lokal. "Ich mag es, dass die Leute auf dem Weg zu den öffentlichen Verkehrsmitteln bei mir vorbeigehen und ich das Leben hier vom Büro aus mitbekomme." Durch die Glaswände ist umgekehrt auch die Architektin bei der Arbeit gut zu sehen. Sie bereut es nicht, ihr Büro hierherverlegt zu haben. Vor der Tür stehen ein Tisch, Sessel und bepflanzte Blumenkisten, die verraten, dass sie gerne draußen sitzt.

Die Passage ist ein gutes Beispiel für eine belebte Erdgeschoßzone, die für solche neuen Stadtquartiere wichtig ist. Dennoch ist es für Einzugswillige nicht einfach: "Es scheitert oft an Kleinigkeiten wie etwa fehlender Beschattung, die man aber auch nicht installieren darf", weiß Zentner aus eigener Erfahrung.

Kochen, Schwimmen, Kino

Eine Straße weiter liegt das Areal des "Wohnzimmer Sonnwendviertel", das ein Zusammenschluss an Bauträgern unter dem Namen win4wien errichtet hat. Brücken im dritten und vierten Geschoß vernetzen alle Bauteile mit den Gemeinschaftseinrichtungen für die Bewohner. Ein schwebendes Heimkino, eine Gemeinschaftsküche mit großem Essraum und langer Tafel im Freien, eine Indoor-Kletterwand und sogar ein Hallenbad gibt es hier.

Aus der beleuchteten Küche im Erdgeschoß dringt Gelächter. Mitglieder des koreanischen Kulturvereins bereiten gerade koreanische Ravioli zu, in einer Kasserolle wartet ein gebeiztes Fleischgericht auf den Ofen. "Wir treffen uns wöchentlich, um Deutsch zu lernen, und viermal im Jahr kochen wir hier mit Freunden und Familien", erzählt Taiyoung Ha, die mit ihrer Familie seit rund drei Jahren hier wohnt. Sie und ihr Mann freuen sich über die Einrichtungen, die es hier gibt, allerdings ist nicht alles perfekt: "Das muss repariert werden, das müsste man besser pflegen", sagt die Koreanerin und zeigt auf ein tropfendes Rohr unter der Abwasch. Ihr Mann bemängelt, dass das Kino oft über Monate ausgebucht sei – andererseits ein Zeichen für seine Beliebtheit bei den Bewohnern.

Vor dem Schwimmbad herrscht am späten Nachmittag Kommen und Gehen. Die Einrichtung nutzen auch viele, die nicht direkt im Viertel wohnen. Eine Gruppe Mütter mit Kindern etwa kommt jede Woche zum Schwimmkurs her, und auch ein älteres Paar, das in der Nähe wohnt: "Wir nutzen vor allem den Wellnessbereich und sind sehr zufrieden, auch weil es unserer Meinung nach recht günstig ist. Wer will, kann sich sogar Massagetermine buchen" , sagt der Mann. Im Sommer kauft er nach dem Schwimmbadbesuch gerne Biospeck beim fix installierten Marktstand gegenüber. Das Schwimmbad sorgt aber auch für Unstimmigkeiten, meint ein Bewohner, denn die Kosten dafür fänden sich einerseits in den Betriebskosten wieder, andererseits müsse man trotzdem noch Eintritt zahlen.

Lesen, Handwerken, Spielen

Eine ruhige Wohnstraße weiter erstreckt sich ein großer Innenhof mit Hängematten, Holzliegen und Kinderspielbereichen. Ein Vater zieht seine Kinder gerade mit einem Bob über die beschneite Wiese. An der Ecke eines Hauses fällt Licht aus Fenstern im Erdgeschoß: Ein Raum mit Bücherregalen und einer selbst genähten Polsterwolke im Fenster lädt zum Hineingehen ein. Es handelt sich um eine Bibliothek, eigentlich Mediathek, die die Bewohner dort im Erdgeschoß betreiben. Mehr als 600 Bücher, Spiele und Filme sind im Sortiment. Gudrun Kollegger hat gerade Journaldienst, sie gibt abwechselnd mit anderen Bewohnern ein paar Stunden ihrer Zeit pro Woche her und kümmert sich darum, dass alles funktioniert. Eine ältere Frau klopft an, um einige Bücher vorbeizubringen. "Freitag ist immer Tarockabend", erzählt sie, die Bibliothek sei ein sozialer Treffpunkt des Hauses und auch des Viertels. Nicht nur zum Bücherausleihen kommen die Bewohner, sondern auch, um sich für Kindernachmittage, Lesungen und andere Veranstaltungen zu treffen. "Die Räume, die uns zur Verfügung stehen, sind sehr förderlich für die Gemeinschaft", betont Kollegger.

Nicht ohne Stolz erzählt sie auch von den anderen Einrichtungen, die das Haus zu bieten hat: Ein Indoor-Kinderspielraum, ein Veranstaltungsraum mit selbst gebauter Bühne, und noch ein Prachtstück – die Werkstatt.

Spenden für die Werkstatt

Dort werkt gerade Hans-Jürgen Strudler an einer Deichsel für seinen selbst gebauten Fahrradanhänger. Der junge Burgenländer ist von einem Altbau im sechsten Bezirk ins Sonnwendviertel gezogen und ist begeistert: "Wir haben hier tolle Werkzeuge, die sich ein Einzelner nicht alle leisten könnte." Das Geld dafür wird teilweise bei von den Bewohnern selbst organisierten Grillfesten mit Spenden lukriert. Die Werkstatt ist erstaunlich zusammengeräumt, obwohl sie sichtlich gut genutzt wird: Mehrere Möbelprojekte und ein selbst gebautes Rednerpult reihen sich in dem großen freundlichen Raum aneinander.

In dieser Wohnhausanlage scheint das Miteinander zu funktionieren. "Das ist deswegen so, weil wir schon vor Baubeginn bei der Planung miteinbezogen wurden", sind sich Frau Kollegger und eine Mutter, die gerade mit zwei Kindern den gemütlichen Kinderspielraum benutzt, einig. Bunte Matten, ein Holzpodest zum Spielen, ein eigener Wickelraum – all das lade dazu ein, den Raum mehrere Stunden pro Woche mit Begeisterung zu nutzen.

Ein weiterer Pluspunkt in den Augen der Bewohnerinnen: "Die Genossenschaft mischt sich nicht sehr ein, sie lässt uns vieles eigenständig machen, und das stärkt die Eigenverantwortung." Das Projekt "so.vie.so mitbestimmt – Sonnwendviertel solidarisch" ist 2015 auch mit dem Wiener Wohnbaupreis ausgezeichnet worden. Geplant wurde die Anlage von s & s Architekten, realisiert wurde sie von der BWS-Gruppe.

Manches wirkt verloren

Was sich Kollegger und manche ihrer Nachbarn noch wünschen, sind mehr Einkaufsmöglichkeiten und Cafés direkt im Viertel und damit eine bessere Belebung der Erdgeschoßzonen. Denn obwohl es das eine oder andere Geschäft gibt, wirkt manches eher verloren, wie etwa ein Modegeschäft, das offensichtlich wenig bis gar keine Laufkundschaft hat.

Kein Problem mit der Infrastruktur hat hingegen Fabian Dehu. Der Student mit Nebenjob wohnt am nördlichsten Zipfel des Viertels, im "Skytower" der Buwog, er teilt sich eine 60- Quadratmeter-Wohnung mit seiner Freundin. Das Paar nutzt die gegenüberliegenden Einkaufsmöglichkeiten am Bahnhof und schätzt das Bildungs- und Ärzteangebot in der Umgebung. "Ich mag das Flair von Jungfamilien und jungen Menschen hier." Hundert Meter weite sähe die Welt ganz anders aus. "Es fehlt nur noch ein Zaun, dann wäre es fast wie eine 'gated community', meint der Student, der sich hier wie in einem eigenen Stadtteil und nicht wie in Favoriten fühlt. (Marietta Adenberger, 2.4.2018)