"Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an meinen Vater denke": der US-Autor Richard Ford.

Foto: APA/AFP/RAUL ARBOLEDA

Richard Ford, "Zwischen ihnen". Übersetzt von Frank Heibert. € 18,50 / 144 Seiten. Hanser, 2017

Foto: Hanser Berlin

Wer umtriebige, bewegungsfreudige Eltern hatte, ist als Schriftsteller gut dran: Er kann ihnen erzählend hinterherfahren, ihnen die Erlebnisse und Erfahrungen, auch posthum noch, entreißen, die für sie am Lebensweg lagen. Die Eltern von Richard Ford, dem großartigen amerikanischen Erzähler, waren alles andere als sesshaft, bevor er auf die Welt kam. Wäschestärke verkaufen für eine Firma in Kansas City – das war Vater Fords lebenslanger Job.

"Waschecht aus Arkansas" lautete der Firmenslogan. Ein Vertreterdasein jahraus, jahrein, mit großem Lieferradius, mit stundenlangen Autofahrten tagsüber, Übernachtungen in kleinen Absteigen oder Motels und Essen in billigen Restaurants. Ehe Richards Mutter mit ihrem einzigen Kind schwanger wurde, war sie stets mit auf Achse, 16 Jahre lang.

Später kam der Vater immer nur am Wochenende nach Hause. Von Montag bis Freitag war der allseits geschätzte Handelsreisende, dem sein menschennaher Beruf Spaß machte, unterwegs. Seine Rückkehr wurde jedes Mal ein Fest, gekrönt von den essbaren Mitbringseln, über die sich die kleine Familie am Freitagabend hermachte: Köstlichkeiten wie Shrimps oder Austern bildeten den Auftakt für eine kurze Gemeinsamkeit zu dritt, ehe sich der Vater am Montagmorgen wieder auf Tour begab.

Das Beispielhafte im Alltäglichen

Wie schildert man ein an sich gänzlich ereignisloses Provinzleben im gänzlich ereignislosen mittleren Süden der USA vor einem halben Jahrhundert? Richard Ford weiß, wie: indem er das Beispielhafte im Alltäglichen sucht und uns die Besonderheit zweier ihm wertvoller Leben als letztlich unergründliches Geheimnis nahebringt.

Nach so herausragenden epischen Gesellschaftserkundungen wie Unabhängigkeitstag (1995) oder Die Lage des Landes (2006), auch nach so spannenden Romanfiktionen wie Rock Springs (1987) oder Eine Vielzahl von Sünden (2002) widmet sich der Autor in dem schmalen Erzählband Zwischen ihnen nun dem scheinbar vertrautesten Terrain: der eigenen Familiengeschichte. In zwei (auch zeitlich) getrennt verfassten Porträts von Vater und Mutter Ford zeichnet er die von Liebe und Warmherzigkeit erfüllte Gemeinsamkeit der eigenen Herkunft nach. Dabei hält er fest, dass "das umfassende Kennenlernen unserer Eltern zu den größten Herausforderungen für uns alle gehört". Und er macht eine scheinbar banale, aber bezeichnende Erfahrung: "Dass wir das Leben unserer Eltern nur unzureichend erfassen, sagt nichts über ihr Leben aus. Nur über unser eigenes."

Am Beginn des Erzählbands steht die Geschichte des Vaters. Parker Carrol Ford stammte aus einer irischen Einwandererfamilie, die alles andere als die Erfüllung des amerikanischen Aufstiegstraums erlebt hatte. Er war 24 Jahre alt, als er die erst 17-jährige Edna sah, "im Lebensmittelladen von Hot Springs, wo sie mit ihren Eltern lebte". Die beiden Landeier aus Arkansas heirateten bald und retteten sich so in ein offenkundig glückliches Leben. Von den Dreißigerjahren an, die noch von der Großen Depression überschattet waren, fuhren sie zu zweit über Land, ehe 1944 in Jackson, Mississippi, ihr Sohn auf die Welt kam. Nun konnte nur noch der Vater das fahrende Vertreterleben aufrechterhalten. Bis ihn 1960 mit nur Mitte 50 ein Herztod ereilte. Da war sein Sohn 16.

Gründe zu heiterer Gelassenheit

Richard Ford zeigt seinen Vater als einen bei aller Bescheidenheit stolzen Aufsteiger. Der Autor bekennt: "Es vergeht kein Tag, kaum eine Stunde, in der ich nicht in irgendeiner Hinsicht an meinen Vater denke." Und er findet Verbündete: "Der Schriftsteller Michael Ondaatje schrieb über seinen Vater: 'Mein Verlust liegt darin, dass ich nie als Erwachsener mit ihm sprechen konnte.'" Da muss sein Kollege Ford zugeben: "Das empfinde ich ebenso – und auch anders." Ford erzählt mit diesem Leben und mit dem frühen Tod eines Handlungsreisenden nicht zuletzt von einem anderen Amerika, in dem auch eine einfache Arbeit noch sicher war und eine Lebensstelle bedeuten konnte. In dem die materielle Zukunft einer Familie noch planbar war, mit Sesshaftigkeit, Eigenheimerwerb und vielen guten Gründen zu heiterer Gelassenheit. Kein Idyll, aber gelebte Zuversicht. Inzwischen ist das alles längst perdu.

Ebenso achtsam und liebevoll wie mit dem Vater geht Ford auch mit den Erinnerungen an seine Mutter um. Sie starb 21 Jahre nach ihrem Ehemann, und der Sohn wird sich im Nachhinein der panischen Angst davor bewusst, nach dem Tod des Vaters auch noch die Mutter zu verlieren – und sei es an einen neuen Mann, auf den die früh Verwitwete Anspruch erhob. Die Partnerschaft zwischen der Mutter und ihrem einzigen Sohn war gemildert durch Ednas Großzügigkeit im Umgang mit den Schwächen des Filius.

Natürlich erzählt Zwischen ihnen, eher verschämt und nebenbei, auch von der Figur in der Mitte: dem heranwachsenden Richard Ford. So enthält das Buch auch einen kleinen Bildungsroman, mit dem jungen Autor als Nebenfigur, der seine Schul- und Pubertätsprobleme preisgibt und langsam, auf Umwegen, zum selbstbewussten Einzelgänger Richtung Literatur wird. Richard Ford berichtet davon, was einmal war und nicht mehr sein kann. Aber er tut dies fern aller Wehmut und Larmoyanz, vielmehr herb, sachlich, humorvoll. "Fast das Einzige, was nicht weggeht, ist die Liebe", formuliert er vorsichtig. Ein berührendes Buch. (Oliver vom Hove, Album, 19.3.2018)