Daniela Strigl, "Alles muss man selber machen. Biografie, Kritik, Essay". € 15,- / 152 Seiten. Droschl, 2018

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Bin ich Kritikerin geworden, weil ich einen 'unbesiegbaren Drang zum Herrschen' (Marie Ebner-Eschenbach) in mir verspürt habe? Nein, in Wahrheit bin ich auch da hineingerutscht – mit 17 oder 18, über einen Leserbrief." Daniela Strigl versteht sich offenkundig gut aufs "Hineinrutschen", womit nicht nur ihre hohe Kunst des ironischen Slide-Tackling gemeint ist: So verfasste sie aus heiterem Himmel mit Bravour die Biografien zweier "literarischer Aschenputtel" (Marlen Haushofer und besagte Ebner-Eschenbach) – auch wenn sie als Literaturwissenschafterin bis dato einen "Bogen um das krude Leben gemacht" hatte. Apropos: Dem breiten Publikum ist Strigl nicht nur als preisgekrönte Literaturkritikerin, sondern auch als langjährige Jurorin des Bachmann-Preises in Klagenfurt bekannt, die dort nicht nur von der Muse geküsst wurde.

2017 wurde sie vom Literaturhaus Graz eingeladen, drei Vorlesungen zur "Kunst des Schreibens" (von Biografien, Literaturkritiken und Essays) zu halten, die jetzt gedruckt vorliegen. Hier öffnet La divina Daniela ihren Werkzeugkasten, in dem etliche feine Klingen aufbewahrt werden, aber auch kleine Bekenntnisse. So erfahren wir, dass sie – obwohl es eigentlich ihr Brotberuf an der Wiener Uni ist – immer so schreiben wollte, dass es "nicht nach Germanistik klingt"; das gute alte Erzählen sei ja den Menschen auch "mit allen Ruten der Dekonstruktion" "nicht auszutreiben". Bei dieser Gelegenheit bekommen wir theoretische wie praktische Einsichten in das latent karriereschädliche Geschäft des Biografen: so z. B. über den Umgang mit schwierigen Nachlassverwalterinnen und juicy Details im Leben der Porträtierten.

Das ist offenherzig, witzig und unprätentiös und dennoch leidenschaftlich streitbar: etwa wenn Strigl in der Literaturkritik die "herrschende Kultur des lauwarmen Einverständnisses" beklagt und die "Übermacht des lustlos Geschriebenen". Unbezahlbar ist ihre kleine Typologie des Kritikers: "Gate-Keeper", "Platz-Anweiser", "Zirkulationsagent", "Raumpfleger", "Verkehrspolizist", "Gnostiker" und "Emphatiker". Daneben werden aber auch andere Lieblingsthemen der Autorin angesprochen, wie etwa Lipizzaner, die überzogene Political Correctness unserer Tage oder die symptombildende Petite Différence zwischen Deutschland und Österreich.

Wer Strigls ironischen Funkenflug schätzt, für den blitzen immer wieder launige Aperçus auf, etwa wenn es über den deutschen Kolonialwarenhandel mit dem inneren Exotismus der österreichischen Literatur heißt: "Der Bastrock unsrer Kultur ist die abgrundtiefe Wiener Gemütlichkeit." Als Vielleserin habe sie "ein weites Herz und einen großen Magen", gesteht Strigl einmal, und wir dürfen es schön finden, dass eine Kritikerin einfach noch "wertkonservativ" sein kann – und sicher keine Marktschreierin des Industriekanons. In einem Land, das seit Weigel und Torberg ohne selbsternannte und -herrliche (männliche) Literaturpäpste auskommen muss, trägt sie längst und leise die Tiara – in die man auch "hininrutschen" kann. (Clemens Ruthner, Album, 17.3.2018)