Mittlerweile beschäftigt sich die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft mit den anonymen Anzeigen

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Mittlerweile haben jene 39 Seiten voller Vorwürfe, die seit vergangenem Sommer als "anonyme Anzeige" in Medien, Politik und Justiz kursierten, eine stattliche Karriere hingelegt. Das Dossier führte, gemeinsam mit ebenfalls anonymen Zeugenaussagen, zu Ermittlungen gegen Verfassungsschützer. Bei Razzien Ende Februar wurden Büros und Privatwohnungen durchsucht.

DER STANDARD und "Profil" haben seit vergangenem Sommer versucht, die in dem Dossier geäußerten Vorwürfe mittels journalistischer Recherche zu überprüfen. Ein Fall zeigt dabei, wie das Konvolut seine Adressaten falsch informierte und womöglich sogar in die Irre führen wollte. Es handelt sich dabei um Vorwürfe gegen Philipp Ita, der etwa als Kabinettschef für drei ÖVP-Innenminister tätig war: Ernst Strasser, Liese Prokop und Günther Platter.

Nachweislich falsche Behauptungen

Im Dossier ist davon die Rede, dass es bei der Österreich-Rundfahrt 2016 "wiederholt zu Bombendrohungen" gekommen sein soll. Da das Radrennen beim Wohnsitz von Ita, dem Stift Ardagger, vorbeiführt, sei es angeblich zu einer Durchsuchung auf Sprengstoff gekommen. Dabei hätten Polizisten laut anonymer Anzeige eine "illegale Pistole mit herausgeschliffener Seriennummer" und "neonazistisches Material" gefunden. Das soll daraufhin von Itas Bekannten im Innenministerium vertuscht worden sein. Ein Polizist habe daraufhin das Referat für Extremismus im BVT auf den Fall hingewiesen, dieses habe die Ermittlungen jedoch auf Drängen von Vorgesetzten im Ministerium angeblich im Austausch für mehr Personal wieder fallengelassen, behauptet das Konvolut.

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Recherchen zeigen: An Vorwürfen war nichts dran

Von all diesen Vorwürfen blieb nach ausführlicher journalistischer Recherche nichts übrig. STANDARD und "Profil" begannen damit, herauszufinden, ob es im Zuge der Österreich-Rundfahrt 2016 überhaupt zu Bombendrohungen gekommen sei. Deren Organisatoren dementierten das. Auch auf Fotos oder Videos in sozialen Medien war von einer angeblichen Bombendrohung nichts zu sehen, ebenso wenig wurde das von der Polizei bestätigt.

Staatsanwaltschaft befasste sich ergebnislos mit Anzeigen

Als nächster Schritt wurde bei Innenministerium, Staatsanwaltschaften und Justizministerium nachgefragt, ob Verfahren gegen die genannten Personen geführt worden sind. Da gab es eine große Überraschung: Das Innenministerium bestätigte, dass sich die Staatsanwaltschaft sowohl mit einem Nazi-Fund als auch mit Amtsmissbrauch zweier Spitzenbeamten des Innenministeriums "befasst hat". Mit diesen Nachrichten hätten STANDARD und "Profil" definitiv für Aufsehen gesorgt.

Immer anonym

Doch die Geschichte wurde "zu Tode recherchiert", wie es in Journalistenkreisen heißt. Denn auf eine Anfrage an Ita selbst meldete sich dessen Anwalt, der Akten zu dem bereits 2016 eingestellten Fall bereitstellte. Darin ist zu lesen, dass nicht in Itas Keller – wie im Dossier behauptet –, sondern auf dem angrenzenden Friedhof, der nicht zu Itas Grund gehört, der ominöse "Koffer" – genauer gesagt: eine grüne Tasche – mit einer unbenutzbaren, alten US-amerikanischen Waffe und NS-Devotionalien gefunden wurde. Die Polizei hatte dazu einen Tipp erhalten. Ita war zum Zeitpunkt dieses Fundes gar nicht in Österreich.

Später hatte eine anonyme Person bei der NS-Meldestelle des BVT dann erneut auf den Fund und eine angebliche "Vertuschungsaktion" hingewiesen. Daher war automatisch ein Aktenvorgang ausgelöst worden. Sowohl diese Vorwürfe als auch die Unterstellungen rund um den Amtsmissbrauch der Spitzenbeamten brachte kein Ergebnis zutage.

Parlament behandelte Causa

Der Vorfall wird in zwei parlamentarischen Anfragebeantwortungen durch Innen- und Justizministerium detailliert dargestellt. Angesichts der aktuellen Ermittlungen gegen BVT-Beamte erhält auch dieser Aspekt der anonymen Anzeigen neue Brisanz. Denn einer der Beamten, der angeblich den Nazifund vertuscht haben soll, wird mittlerweile wegen anderer Delikte als Beschuldigter geführt. Wegen seines Kontakts zur Leiterin des Extremismusreferats wurden bei ihr Festplatten und USB-Sticks sichergestellt, teils auch mit aktuellen Fällen.

Gründe für BVT-Ermittlungen in Konvolut zu finden

Es ist unklar, ob die Platzierung der Nazi-Devotionalien, die anonymen Hinweise bei Polizei und NS-Wiederbetätigungsstelle sowie das anonyme Dossier von derselben Person verfasst wurden. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass Ermittler, Staatsanwaltschaft und Journalisten teilweise absichtlich in die Irre geführt werden sollten. So liest sich die E-Mail an die NS-Meldestelle des BVT sehr ähnlich wie die anonymen Anzeigen.

Auch die bislang offiziell bekannten Gründe für Ermittlungen gegen BVT-Beamten sind allesamt in diesem Konvolut anonymer Anzeigen nachzulesen. Das Justizministerium betonte allerdings wiederholt, dass vor allem die Aussagen von vier Zeugen der Grund für die Razzien beim BVT waren. Wer diese Zeugen sind und was sie ausgesagt haben, bleibt geheim. Mittlerweile ist lediglich bekannt, dass der erste Zeuge vom Generalsekretär im Innenministerium an die Staatsanwaltschaft übermittelt und die ersten zwei Zeugen von einem Kabinettsmitarbeiter von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) begleitet worden sind.

In einem Interview mit "Profil" sagte Christian Pilnacek, Generalsekretär im Justizministerium dazu, dass es "in einem Strafverfahren immer darum geht, Be- und Entlastendes zu finden". Wenn sich die Vorwürfe als haltlos erweisen, "dann wird die Staatsanwaltschaft zu klären haben, wer ein Interesse daran hatte", andernfalls habe man es immer noch mit strafrechtlich relevanten Handlungen zu tun, so PIlnacek: "Mag sein, dass es dann immer noch eine Intrige war." (Fabian Schmid, Maria Sterkl, 18.3.2018)