Carol Fong-Mei Urkauf-Chen (62) kam der Liebe wegen von Taiwan nach Österreich. Die Ehe mit dem Fahrradgroßhändler Hermann Urkauf ging bald in die Brüche. Die Betriebswirtin aus kleinen Verhältnissen löste ihren damaligen Mann in der vor dem Konkurs stehenden Firma ab. Gern gab dieser das Heft nicht aus der Hand.

STANDARD: Sie haben kürzlich Ihre Rolle bei der KTM Fahrrad GmbH gewechselt. Nachdem Sie sich jetzt in den Aufsichtsratsvorsitz zurückgezogen haben: Ist Ihnen schon langweilig?

Urkauf-Chen: Nein, ich unterstütze meine Tochter Johanna sehr. Aber ich muss nicht mehr den ganzen Tag im Büro sein. Wenn ich zu Hause bleiben möchte, um zu relaxen, dann darf ich das. Früher ging das nicht. Ich übe das einmal.

STANDARD: Und wie genau?

Urkauf-Chen: Ich werde mehr Golf spielen und Rad fahren, und ich bin eine fanatische Gärtnerin. Ich habe schon geschaut, jetzt ist die Zeit, Rosen zu schneiden. Und dann kümmere ich mich immer noch um unsere Tochtergesellschaften, zum Beispiel in Asien und Tschechien.

Carol Urkauf-Chen hat einst darüber nachgedacht, ob sie mit ihren Töchtern nach Taiwan zurückkehren soll. Immerhin hatte sie dort ein Unternehmen. Was sie abgehalten hat? Man muss kämpfen, sagt sie heute.
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STANDARD: In Tschechien produzieren Sie Einstiegsmodelle. Der Stammsitz in Österreich wächst dennoch. Auch was die Mitarbeiter betrifft. Was ist mit der vielbeschworenen Automatisierung?

Urkauf-Chen: Würden wir Einstiegsmodelle in Mattighofen produzieren, wäre das ein Verlustgeschäft. Hier machen wir besser höherwertige Räder wie E-Bikes. In der Produktion wird bei uns das meiste händisch gemacht. Dadurch sind wir sehr flexibel. Wir haben ja 200 verschiedene Modelle und können rasch wechseln. Automatisierung ist gut. Aber wenn das Ergebnis passt und man mehr Mitarbeiter braucht, ist das ein großes Glück. Wir haben eine sehr gute Zukunft. Wir wachsen jedes Jahr über zehn Prozent.

STANDARD: Das war lange nicht so. 1991 ging die KTM Motor- und Fahrzeugbau AG in Konkurs. Die Fahrradsparte hat Ihr damaliger Mann gekauft. Fünf Jahre später drohte erneut das Aus. Haben Sie gedacht, dass sich das Geschäft einmal so entwickeln wird?

Urkauf-Chen: Ich bin seit 40 Jahren im Fahrradgeschäft, habe jeden Tag, jede Woche, jeden Monat viel Zeit, Liebe und Energie hineingesteckt. Fahrrad ist mein zweites Leben. Die Entwicklung musste so sein.

STANDARD: Was hat Sie dazu getrieben, in eine marode Firma einzusteigen?

Urkauf-Chen: Ehrlich gesagt war das nicht meine Idee. Gekauft hat die Firma ja mein Ex-Mann. Er ist wirklich ein Naturliebhaber und der Überzeugung, Menschen sollten nicht nur vom Auto abhängig sein und mehr Fahrrad fahren.

STANDARD: Das war für damals doch sehr fortschrittlich.

Urkauf-Chen: Ja, vom Gedanken her schon. Er hat da schon begonnen, ein Elektrofahrrad zu entwickeln. Man konnte darauf gar nicht sitzen, aber man konnte damit fahren. Es hatte einen kleinen Motor, auf einen Rahmen montiert, der von irgendwelchen Geräten abgenommen worden ist. Aber unser heute sehr erfolgreiches E-Bike hat mit diesem lächerlichen Muster begonnen.

STANDARD: Ihr Ex-Mann hat 35 Millionen Schilling bezahlt, die Motorradschmiede war um 30 Millionen zu haben. Hätten Sie dieses Geschäft auch gemacht?

Urkauf-Chen: Die Familie Urkauf war über 50 Jahre in der Fahrradbranche und hat schon in den 1980er-Jahren KTM-Fahrräder vertrieben. Die Marke war im Fahrradbereich schon berühmt. Deswegen hat mein Ex-Mann die Fahrradsparte inklusive der Markenrechte gekauft. Das Fahrrad war damals allerdings ein Sonnenuntergang-Geschäft. Puch war schon vor KTM in Konkurs. Keine Zukunft. Stefan Pierer wollte das Fahrradgeschäft nicht haben. Und ich und die ganze Familie waren auch nicht gerade begeistert. Wir haben uns gefragt, ob ein Fahrrad made in Austria wirklich Zukunft hat.

STANDARD: Sie hatten recht. Die Firma stand bald wieder am Abgrund. Trotz aller Zweifel sind Sie eingesprungen?

Warum Sie einst in die marode Firma einstiegen ist? Konkurs ist so traurig, sagt sie heute: "Ich wollte das unbedingt vermeiden."
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Urkauf-Chen: Konkurs ist so traurig. Ich wollte das unbedingt vermeiden. Als Mensch muss man zuerst kämpfen. Solange in meiner Tasche Geld ist, kann ich nicht Konkurs anmelden. Vorher gebe ich meine letzten Groschen. Im Dezember 1995 habe ich in Mattighofen niemanden gekannt. Aber ich wusste, dass mein Ex-Mann kein Geld hatte, um zu bezahlen. Das ist so grausam, wenn die Mitarbeiter zu Weihnachten in der Fabrik warten und dann kein Geld nach Hause bringen. In diesem Moment dachte ich nicht an den Konkurs, nur an die Mitarbeiter. Ich habe meine Verwandtschaft angerufen und um Geld gebeten. In letzter Minute habe ich das den Mitarbeitern im Stoffsackerl gegeben. Der erste Schritt, um den Konkurs abzuwenden.

STANDARD: Und dann?

Urkauf-Chen: Für unsere Familie war das keine schöne Weihnachtsfeier. Die zwei Mädchen waren sechs und zwei. Die Oma hat wohl gedacht, sie überlebt das nicht. Sie hat ein Leben lang den Fahrradhandel geführt, und der Sohn hat KTM gekauft.

STANDARD: Und für Sie?

Urkauf-Chen: War es auch ziemlich schwierig. Mein Ex-Mann hatte es gar nicht gern, dass ich nach Mattighofen fahre. Er hat immer gesagt: Das Dorf ist für Ausländer nicht geeignet. Aber ich habe internationales Handelsgeschäft gelernt, die ganze Welt bereist. Ich habe mir keine Sorgen gemacht.

STANDARD: Sie hatten wohl auch andere Sorgen genug.

Urkauf-Chen: Ja, am 7. Jänner 1996 kam das zweite Problem. Die Steuer musste bezahlt werden. Und die Ware stand im Hafen. Ich kenne Gott sei dank die Lieferanten auf der ganzen Welt. Ich habe sie angerufen und gesagt: Ich garantiere und bezahle das. Dann ist ein Container nach dem anderen von Hamburg gekommen. Die Produktion konnte in sehr kurzer Zeit wiederaufgenommen werden. Meinem Ex-Mann habe ich gesagt, dass ich schon sehr viel Geld in diese Firma gesteckt habe, auf mein Risiko. Ich muss jetzt kommen und mich in die Arbeit einmischen. Vorher hat er mir das nicht erlaubt.

STANDARD: Wussten Sie damals sofort, was nicht funktioniert?

Urkauf-Chen: Damals wurden viele Rahmen schon geschweißt, aber wir haben immer noch mit Muffen gearbeitet. Ich habe diese Technik geändert. Eine große Umstellung, die nicht nur die Produktion, sondern auch das Design betraf. Die Entwicklungsabteilung musste mit einer neuen Konstruktion umgehen. Ich wusste ganz genau, was man braucht, aber die deutsche Sprache war für mich auch neu. Aber Rechnungen konnte ich sehr gut lesen. Ich habe jede einzelne kontrolliert und die Einkaufspreise neu verhandelt.

Was die Zukunftspläne betrifft, so sieht Urkauf-Chef noch viel Potenzial. Wie sie es angehen will, weiß sie auch: "Wir gehen immer kleine Schritte in die richtige Richtung. Ich kann nur ein kleines Risiko eingehen, ich bin ja auch klein."
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STANDARD: Sie sind Betriebswirtin. Wo bringen Sie sich am stärksten ein? Gestalterisch, technisch oder bei Produktionsprozessen?

Urkauf-Chen: Überall. Man muss auch immer weiter entwickeln, darf nichts verschlafen, das ist gefährlich.

STANDARD: Stichwort gefährlich: Auch die Konkurrenz ist auf das E-Bike gekommen, Ihr Zugpferd. Man konnte bald E-Bikes beim Diskonter erwerben – made in China.

Urkauf-Chen: Ja, vor sechs Jahren gab es überall um 699 Euro E-Bikes aus China. Es gab eine irre Menge. Inzwischen sind alle verschwunden. Komplett. Das funktioniert nicht. Besser ich kaufe eines um 1999 Euro, das ist zwar keine hohe Liga, aber es funktioniert, und es gibt eine Garantie vom Fachhändler. Bei den 699-Euro-Rädern hat der Importeur 10.000 Räder da, und man kann sie nicht reparieren.

STANDARD: Wie sehen die Zukunftspläne aus? Immerhin baut man in China mittlerweile Autos, chinesische Firmen steigen im großen Stil bei europäischen ein.

Urkauf-Chen: Derzeit investieren wir mehr in den lokalen Markt. In China sind wir noch nicht so stark. Im Fahrradgeschäft gab es dort in den letzten drei Jahren einen Einbruch. Aber es gibt auch sehr reiche Leute. Unsere Carbon-Fahrräder um 7000 Euro sind besonders beliebt. Wenn die Zeit kommt, ist es für mich sehr einfach. Ich habe dort ein großes Handelsgeschäft und Familie. Ich kann jederzeit durchstarten. Ich glaube, wir haben international noch sehr viel Potenzial. Aber wir gehen immer kleine Schritte in die richtige Richtung. Ich kann nur ein kleines Risiko eingehen, ich bin ja auch klein. Und jeder Euro kommt aus meiner Tasche, die ist auch nicht so groß. Niemand kann mir helfen, wenn ich etwas falsch mache.

Arbeiten jetzt zusammen: Carol Urkauf-Chen und Tochter Johanna Urkauf, die seit drei Jahren im Betrieb mitarbeitet. Seit Jänner heurigen Jahres ist sie in der Geschäftsführung. Urkauf-Chen übt jetzt einmal ihre Rolle als Aufsichtsratschefin.
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STANDARD: Wollte Ihnen nie jemand KTM abkaufen? Es gibt Gerüchte, dass Stefan Pierer bei KTM Fahrrad einsteigen wollte.

Urkauf-Chen: Ich gehe nach wie vor gerne zur Arbeit und freue mich, dass ich meine Erfahrung und mein Wissen an die nächste Generation weitergeben kann. Ich habe Stefan Pierer nie ein Angebot für einen Kauf gemacht.

STANDARD: Derzeit geht es der Firma ja gut und der Wirtschaft auch.

Urkauf-Chen: Ja die Wirtschaft boomt. Es ist alles überhitzt. Wir tun uns sehr schwer, Arbeitskräfte zu finden.

STANDARD: Darüber klagen auch andere Firmen. Viele machen ein mangelhaftes Ausbildungssystem dafür verantwortlich. Sie auch?

Urkauf-Chen: Man muss die Leute auf unterschiedlichen Niveaus ausbilden. Wir können nicht alle auf höchstem Niveau ausbilden. Dann finde ich niemanden mehr zum Schrauben.

STANDARD: Und Grund zur Kritik gibt es nicht, zum Beispiel wegen zu unflexibler Arbeitszeiten?

Urkauf-Chen: Ich habe mit den Arbeitszeitregeln keine Probleme. Ich finde, zehn Stunden Arbeit sind in der Regel genug, ob in der Produktion oder im Büro, auch wenn ich mein Leben lang sehr viel mehr gearbeitet habe.

STANDARD: Eine Frage noch: Was bedeutet Ihr chinesischer Name Fong-Mei?

Urkauf-Chen: Fong heißt Phönix und Mei Schönheit. Jemand hat einmal gesagt, ich habe die Firma wieder aufgebaut wie Phönix aus der Asche. (Regina Bruckner, 18.3.2018)