Bild nicht mehr verfügbar.

Nicht immer bekommt man ein Rad bei einer Verleihstation.

Foto: REUTERS/Gonzalo Fuentes

"Dann nehmen wir eben die Metro", meint David fatalistisch und macht sich auf zur U-Bahn-Station Porte d'Orléans. Drei Verleihstationen am Südrand der französischen Hauptstadt hat der junge Pariser nach eigenen Angaben versucht, doch nirgends konnte er ein "Vélib" auslösen.

"Vélib", die Zusammensetzung aus "vélo" und "liberté" (Freiheit), war bisher ein Gütesiegel für praktisches Vorwärtskommen in der überfüllten Seine-Metropole. An 1200 Stationen in Paris sowie vielen Vorortgemeinden warteten fast 20.000 Fahrräder. Die Fahrräder waren grau und schwer, aber ein Publikumsrenner nicht nur bei einem jungen, urbanen Publikum. Rasch folgten Radwege, deren Netz heute die ganze Stadt überzieht. Noch Ende 2017 wurde durchschnittlich jede Sekunde ein Stahlross aus den automatischen Andockplätzen geklinkt.

"Vélibgate"

Heute liegt das Vélib-System weitgehend flach. Nicht einmal jede zweite Station ist in Betrieb. Pariser Medien sprechen von "Vélibgate", von Fiasko, Chaos und Blamage ähnlich dem Berliner Flughafen.

Schuld ist der Totalumbau von Vélib. Da immer mehr private Verleiher dem städtischen Betrieb Konkurrenz machen, wählte Bürgermeisterin Anne Hidalgo 2017 einen neuen Betreiber.

Tiefe Gräben für Leitungen

Die Ausschreibung gewann das Konsortium Smovengo. Es versprach, in kürzester Zeit sämtliche Stationen und Fahrräder durch besseres Material zu ersetzen. Derzeit ist aber erst die Hälfte jener 700 Andockplätze, die schon für den 1. Jänner versprochen waren, offiziell in Betrieb. Und laut Presseberichten funktionieren auch davon nicht alle.

Smovengo wollte auch das ganze Vélib-Stromnetz auswechseln – vergaß aber, dass die dafür nötige Schwachstromleitung tiefer gezogen werden muss. Das erfordert monatelange Grabearbeiten durch ganz Paris. Zur Überbrückung rüsteten Techniker die Leihstationen in aller Hast mit Batterien aus. Die entluden sich aber binnen Tagen. Also wurden größere Batterien eingepflanzt. Doch die brachten das ganze Informatiksystem zum Erliegen; Bug folgte auf Bug.

Fall für die Gerichte

Mittlerweile schrauben 150 Techniker an den Vélib-Stationen. Das geht ins Geld; Bürgermeisterin Hidalgo hat zudem eine erste Vertragsstrafe von drei Millionen Euro für das erste Quartal 2018 angeordnet. Längst liegt der Fall vor Gericht.

Noch erboster sind die Pariser Kunden, die jährlich bis zu 99,60 Euro für Vélib zahlen. Smovengo verspricht ihnen jetzt einen Bonus, musste aber zuerst einmal das Internetforum der Benützer schließen: Dort wurde schon zur Revolution gegen das neue Vélib-Regime aufgerufen.

Das Paradoxe an der verworrenen Lage ist, dass die chinesische Firma Gobee – deren Ankunft in Paris Panik ausgelöst und zum Betreiberwechsel bei Vélib geführt hatte – ihre grünen Billigfahrräder im Februar bereits wieder aus Frankreich und Italien zurückgezogen hat. Paris ist ihr zu wenig rentabel. Es bleiben noch – zumeist ebenfalls chinesische – Anbieter mit Namen wie Ofo, Indigo Weel oder Mobike.

Ihre Fahrräder verstopfen vielenorts die Gehsteige, sodass ihnen die Stadt eine Steuer für die "Benützung des öffentlichen Raums" auferlegen möchte. Der Gerant von Mobike Paris, Etienne Hermite, kritisiert, dass private Anbieter eine Abgabe zahlen sollen, während der städtische Vélibbetreiber subventioniert werde. In der Tat kostet der Vélib-Verleih die öffentliche Hand jährlich 4000 Euro pro Fahrrad, wie die Zeitung Le Monde errechnet hat. (Stefan Brändle aus Paris, 17.3.2018)