In "Die bauliche Maßnahme" ist die Brenner-Grenze 2016 Thema.


Foto: Geyrhalter Filmproduktion

Graz – Auf Österreich schauen und zum Befreiungsschlag ansetzen: Als Fritz Lehner 1981 sein Bergbauerndrama Schöne Tage drehte, musste dieser gewaltige, fürs TV entstandene Antiheimatfilm wie ein großes Durchlüften erschienen sein. "Das Dokumentarische waren die Menschen", so Lehner anlässlich der Vorführung seines Klassikers, den er mit Laiendarstellern besetzt hatte.

Basierend auf Franz Innerhofers Roman erzählt Lehner die Geschichte eines jungen Mannes, der in den 1950ern zum abgeschiedenen Hof des Vaters kommt und dort jahrelang verzweifelt versucht, trotz der Gewalt und Bigotterie seine Identität zu bewahren. Und den Hof irgendwann als Mensch zu verlassen.

Exemplarischer Auftakt

In der vom Filmmuseum verantworteten historischen Reihe Provinz unter Spannung bildete Schöne Tage einen exemplarischen Auftakt, der zeigt, wie das falsche Idyll von der sogenannten Provinz im österreichischen Nachkriegskino einer ungeschönten Perspektive auf das Land wich: statt Kitsch aus dem lustigen Salzkammergut realistische Gesellschaftsentwürfe und wegweisende Produktionen wie etwa Axel Cortis Fernseharbeiten oder – ebenfalls zu sehen – Egon Humers Postadresse: 2640 Schlöglmühl (1990) über das Arbeitslosenleben nach der Schließung der niederösterreichischen Papierfabrik. Ein österreichisches Filmerbe, dessen "Spannung" in der Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit besteht – nicht nur in Gedenkjahren.

Ein Filmfestival lebt von solch historischen Wegweisern durch das aktuelle Programm, da sie nicht nur Traditionen aufzeigen, sondern auch Verschiebungen nachzeichnen. Auch fragwürdige: Lehners Schilderungen über die goldenen Jahre des österreichischen Fernsehfilms ("Heute sind wir wieder beim Bergdoktor") erschienen einem bei Marvin Krens Grenzland mit Brigitte Kren als Ermittlerin im Südburgenland wie ein mahnender Ruf: Im handwerklich versierten, aber in der Erzählung schwer bedenklichen TV-Krimi des Blutgletscher-Regisseurs wird die Provinz zu jenem Ort, an dem sich die Einheimischen in schlechtester Hillbilly-Tradition zum Mob formieren, um Jagd auf einen mordverdächtigen Asylwerber zu machen.

Geyrhalterfilm

Dass die Provinz längst globale Herausforderungen kennt, wird in Nikolaus Geyrhalters jüngstem Film Die bauliche Maßnahme dokumentarisch verdeutlicht. Schauplatz ist die Brenner-Grenze im Frühjahr 2016. Die Regierung gab bekannt, die grüne Grenze mit neuem Zaun sichern zu wollen, auch Grenzkontrollen sind erstmals seit 20 Jahren im Gespräch. Was als Präventivmaßnahme gegen Flüchtende annonciert wird, stößt bei der Bevölkerung jedoch auf ambivalente Gefühle.

Fingerspitzengefühl

Im Dialog mit dem Volk sucht Geyrhalter nicht nach den eilfertigen Antworten. Er gräbt tiefer und beweist demokratisches Fingerspitzengefühl. Jäger, die vor einer Grenze stehen, die man via Stockerl passieren kann, zeigen plötzlich Empathie für Migranten; ein Polizist nimmt in Notcontainern nur notdürftig Distanz zum Handeln ein; ein Bergbauer raunt wie eine Bernhard-Figur über die Irrläufe der Volkstribunen im Tal. Man ist immer wieder verblüfft über die Ambiguitäten in den Argumenten der Brenner-Menschen.

Die Verbundenheit mit Tirol wird nicht mit Ressentiments untermauert, die Gespaltenheit des Landes wirkt wie eine Schimäre. Die bauliche Maßnahme legt nahe, dass in Österreich mit konstruktiver Politik vieles anders verliefe. Interessant deshalb auch der Produktionshintergrund: Der Film war für den ORF geplant, da die Finanzierung ins Stocken kam, ist nun ein Kinofilm daraus geworden.

Alpen des 15. Jahrhunderts

Einen finsteren Bergaufstieg wählt das Genrekino: Lukas Feigelfeld hat mit Hagazussa einen stilisierten Horrorfilm vorgelegt, der in die Alpen des 15. Jahrhunderts führt. Der Wald ist voller Geister, sodass es nicht lange dauert, bis eine Mutter (Claudia Martini) eine denkwürdige Metamorphose in den Wahn durchläuft, der später auch die Tochter (Aleksandra Cwen) einholt. Die minimalistische Erzählung mischt katholische Mystik mit heidnischem Hexenkult zum Cocktail, am wirkmächtigsten bleiben jedoch die mystisch düsteren Wald- und Bergaufnahmen, die mit einem wuchtigen Sounddesign einen starken Sog erzeugen. Österreich, ein Land der Widersprüche. (Dominik Kamalzadeh, Michael Pekler, 16.3.2018)