Ihre erste Reise führt die neue alte Bundeskanzlerin in den Élysée-Palast.

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Hinter der Kamera mit dabei: Starfotografin Annie Leibovitz.

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Die Vorzeichen beiderseits des Rheins haben sich geändert. Die langjährige "Kaiserin Europas", wie "Le Monde" Angela Merkel einst genannt hatte, reiste am Freitag innenpolitisch geschwächt und europapolitisch unter Zugzwang an die Seine. Dort wartete ungeduldig der neue "europäische Sonnenkönig" (ZDF), der nicht in kleinen Schritten denkt wie die Kanzlerin, sondern den großen europäischen Wurf plant, den er schon 2017 in seiner weitgreifenden Sorbonne-Rede skizziert hatte.

Und Emmanuel Macron hat nach wie vor Glück. Die Weltkonjunktur zieht an, die Wirtschaftsdaten verbessern sich auch in Frankreich. Der französische Präsident eilt von einer Strukturreform zur anderen und erinnert die Deutschen mit Nachdruck an sein altes Tauschgebot: "Frankreich reformiert, Deutschland investiert." Mit dem früheren Finanzminister Wolfgang Schäuble und der Jamaika-Koalition unter Einschluss der ebenso sparbewussten FDP sind überdies zwei potenzielle Gegner der Eurozonen-Vertiefung à la Macron ausgeschieden.

"Mehr Europa"

Der neue Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) steht den französischen Vorstellungen näher. Nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Bruno Le Maire meinte er am Freitag in Paris, er wolle sich für mehr "Konvergenz", also Annäherung innerhalb der Eurozone einsetzen.

Und Angela Merkel? Ist sie auch im Konkreten bereit zu "mehr Europa", wie es Macron wünscht? Wie weit kommt sie seinen Vorstellungen von einem europäischen Finanzminister entgegen? Bei einer gemeinsamen Presseerklärung im Élysée-Palast erklärte die Kanzlerin am Freitag: "Wir müssen bis Juni unbedingt Ergebnisse erzielen." Damit verschob sie konkrete Entscheidungen oder auch nur Weichenstellungen bis in den Sommer. Macron kündigte bis dahin einen "ehrgeizigen Fahrplan für die Neugründung" der EU an. Seine Ungeduld kaum verhehlend, meinte er: "Wir sind bereit."

Macron isoliert

Die Pariser Erwartungen vor dem Europäischen Rat nächste Woche hatte Berlin schon im Voraus gedämpft. Merkel will sich von ihren französischen Freunden offensichtlich nicht drängen lassen. Sie weiß, dass nicht sie, sondern eher Macron europaweit isoliert ist. Bei den Wahlen in Italien hat er einen sicher geglaubten Verbündeten, die Sozialdemokraten, verloren: Von Rom kann Paris kaum mehr Rückendeckung erwarten, wenn es darum geht, Berlin eine forcierte Euro-Integration abzuringen.

Im Februar haben sich zudem acht EU-Nordstaaten unter Anführung der Niederlande verklausuliert gegen ein deutsch-französisches Diktat ausgesprochen; bei genauem Hinschauen richtete sich der Appell vor allem gegen den Pariser Wunsch, Ausgaben und Schulden im Euroraum zu vergemeinschaften. Am Donnerstag vertagte die Europäische Zentralbank (EZB) ferner die Säuberung europäischer Bankbilanzen von faulen Krediten. Damit entfällt zumindest aus deutscher Sicht eine Voraussetzung für die rasche Bildung der Bankenunion, wie sie Macron vorschwebt.

Abnützungsstreik

Merkel hat also gar nicht so schlechte Karten. Sie muss sich allerdings davor hüten, die französischen Freunde zu desavouieren oder gar zu brüskieren. Macron ist ein erklärter Freund Deutschlands, der auch aus innenpolitischen Gründen auf Fortschritte in der europäischen Frage angewiesen ist. Blockt Merkel, schwächt sie damit auch seine Stellung in Paris – und die ist weniger solide, als es das Etikett des Sonnenkönigs glauben macht. Das soziale Klima in Frankreich kühlt sich trotz der guten Konjunkturlage merklich ab: Am Donnerstag sind in Frankreich die Rentner auf die Straße gegangen, nächste Woche tritt das Personal bei Air France in den Ausstand; und ab April organisieren die Bahnarbeiter einen harten mehrwöchigen Abnützungsstreik – alles gegen Macrons Reformen gerichtet.

Wie auch immer: Merkel muss dem Franzosen entgegenkommen. Wenn nicht in der Finanzfrage, dann zumindest beim Grenzschutz: Macron will, wie er schon an der Sorbonne erklärt hatte, die europäische Grenzwache und die Agentur Frontex aufstocken. Gemeinsame Maßnahmen gegen die illegale Migration könnten deshalb die mangelnde Konvergenz in Sachen Euroraum übertünchen.

Bei einem Arbeitstreffen und folgendem Essen wollten die Kanzlerin und der französische Präsident am Freitagabend auch eine angemessene Reaktion auf den mutmaßlich russischen Giftanschlag in Großbritannien besprechen. (Stefan Brändle aus Paris, 16.3.2018)