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Stefan Rahmstorf beschäftigt sich am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung schwerpunktmäßig mit Ozeanografie und Paläoklimatologie.

Foto: matthias cremer

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Das Eon-Kohlekraftwerk in Gelsenkirchen wurde schon oft als Dreckschleuder kritisiert. Wäre CO2 teurer, würde es wohl geschlossen werden.

Foto: AP/Martin Meissner

Ohne Einschränkung des Lebensstils, sprich Verzicht auf Konsum, werde es kaum möglich sein, die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu beschränken, meint Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Manches lasse sich technologisch lösen, aber eben nicht alles. Ein Mindestpreis für Kohlendioxid (CO2) im europäischen Emissionshandel könne zu richtigen Investitionsentscheidungen etwa im Strombereich führen und umweltschädigende Kohlekraftwerke aus dem Markt drängen.

STANDARD: Täuscht der Eindruck, oder verliert Klimaschutz wieder an Relevanz?

Rahmstorf: Inwiefern?

STANDARD: Im öffentlichen Diskurs.

Rahmstorf: Das habe ich so nicht beobachtet. Ich weiß auch nicht, wie man das wirklich messen wollte. Klimaschutz hat immer Wellen der Aufmerksamkeit. Wenn ein Weltklimabericht herauskommt, wird stark darüber diskutiert, dann klingt es wieder ab. Auch bei Wetterextremen wie der Hurrikansaison im vorigen Sommer kocht das Thema hoch und ebbt dann wieder ab.

STANDARD: Und in den USA mit dem Regierungswechsel von Barack Obama zu Donald Trump?

Rahmstorf: Ich habe das Gefühl, durch Trump wird das Thema Klimaschutz in den USA wieder mehr diskutiert. In der Trump-Administration sitzen lauter Leute in führenden Positionen, die die wissenschaftlichen Fakten bestreiten. Das führt zu einer Gegenbewegung in dem Sinn, dass sich Leute wie Arnold Schwarzenegger (Ex-Gouverneur von Kalifornien, Anm.) oder Michael Bloomberg (Unternehmer und Politiker, Anm.) klar dagegen positionieren.

STANDARD: Zollstreit, Handelskriege und echte Kriege scheinen Vieles zu überlagern?

Rahmstorf: Das stimmt. Durch Trump und andere Ereignisse werden die Nachrichten immer wieder von anderen Themen dominiert. In Deutschland war es so, dass das Klimathema während der Verhandlungen um eine Jamaika-Koalition eine große Rolle in der öffentlichen Diskussion gespielt hat. Das wurde als einer der Knackpunkte gesehen. Nachher, als es um die große Koalition ging, ist das Thema wieder weitgehend verschwunden.

STANDARD: Die internationale Staatengemeinschaft hat sich darauf verständigt, den durchschnittlichen Temperaturanstieg bei 1,5 bis maximal zwei Grad Celsius zu begrenzen. Wie realistisch ist das noch angesichts des Ausstiegs der USA aus dem Pariser Abkommen?

Rahmstorf: Das ist eine Frage nach der politischen Einschätzung. Aus wissenschaftlicher Sicht wäre es theoretisch noch immer möglich, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, allerdings mit so einschneidenden Maßnahmen, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass die Welt die ergreifen würde.

STANDARD: Zum Beispiel?

Rahmstorf: Ich denke an Maßnahmen wie in den USA 1940 bis 1942, als die Industrieproduktion in kürzester Zeit auf militärischen Bedarf umgestellt wurde. Würde die Gesellschaft heute die globale Erwärmung als ähnlich bedrohlich betrachten wie damals die USA den Krieg in Europa, wäre der Umbau unseres Energiesystems Priorität Nummer eins der Politik und könnte sehr rasch erreicht werden. Doch solange Konsum, Wirtschaftswachstum und Urlaubsflüge für uns wichtiger sind als die Vermeidung einer Klimakatastrophe, wird das nicht passieren.

STANDARD: Was ist realistischer?

Rahmstorf: Die Erwärmung unter der Zweigradgrenze zu stoppen. Da sehe ich durchaus noch Chancen. Innerhalb der USA gibt es viele Städte und Bundesstaaten, die sagen: Jetzt erst recht. Auch sieht man, dass sich international keine anderen Staaten hinter der Haltung der USA verstecken – im Gegenteil. Es gibt das Bekenntnis, den Pariser Vertrag umzusetzen, auch wenn konkrete Maßnahmen, die das ermöglichen würden, noch weitgehend fehlen.

STANDARD: Eine effektive Maßnahme wäre, ...

Rahmstorf: ... aus der Nutzung fossiler Energien auszusteigen. Am schnellsten schafft man das im Stromsektor – durch Ersatz der Kohlekraftwerke. Das passiert schon. Sowohl in den USA als auch in Europa sind die Emissionen gesunken. Aber sie sinken nicht schnell genug, um die Erwärmung deutlich unterhalb von zwei Grad zu halten. Die Zeit aber drängt. Wir haben ein sehr begrenztes Emissionsbudget, was wir noch ausstoßen können.

STANDARD: Wie viel in etwa?

Rahmstorf: Die Schätzungen variieren um einen Mittelwert von 600 Milliarden Tonnen CO2. Da wir jedes Jahr 40 Milliarden emittieren, reicht das noch für 15 Jahre. Wollen wir noch länger emittieren, müssen wir sofort reduzieren.

STANDARD: Andererseits unterstützen Länder wie Österreich weiter den Diesel und sind auch skeptisch, was CO2-Steuern betrifft.

Rahmstorf: Weltweit werden fossile Energien nach wie vor direkt subventioniert, laut OECD mit mehreren Hundert Milliarden Dollar jährlich. So werden wir das Pariser Klimaabkommen nicht einhalten. Nach Einschätzung der Ökonomen an unserem Institut brauchen wir einen CO2-Mindestpreis, der ein Mehrfaches der jetzt fälligen elf Euro pro Tonne betragen müsste. Damit könnte man die Kohlekraftwerke aus dem Markt drängen. Großbritannien hat das mit einem Mindestpreis von rund 30 Euro pro Tonne CO2 vorgemacht. Die britischen CO2-Emissionen sind inzwischen auf das Niveau von 1890 gesunken.

STANDARD: Auf welche Umweltsituation müssen sich unsere Kinder einstellen, wenn sie das fortgeschrittene Erwachsenenalter erreichen?

Rahmstorf: Es wird auf jeden Fall wärmer, in Kontinentalgebieten wie Österreich und Deutschland deutlich rascher als im globalen Mittel. Hitzewellen nehmen zu. Wir hatten 2003 einen Jahrhundertsommer in Europa, der an die 70.000 Hitzetote gefordert hat. In vielen Ländern wird es mehr Überflutungen durch Wärmegewitter geben. In Österreich wird interessant zu sehen, wie sich der Umbruch auf Gletscher, Wasservorkommen, Tourismusindustrie, Skifahrmöglichkeiten et cetera auswirken wird.

STANDARD: Sind die Mittelmeeranrainer in größerer Gefahr als Bewohner im Alpenbogen?

Rahmstorf: Die Mittelmeerländer leiden unter zunehmender Trockenheit. Das ist ein Trend, der seit Jahrzehnten beobachtet und seit langer Zeit von den Klimamodellen als Folge der globalen Erwärmung so vorhergesehen wird. Laut einer im Vorjahr publizierten Studie werden weite Teile Spaniens und Portugals bei einer Erwärmung um zwei Grad zur Wüste. Was das für Auswirkungen haben kann, sieht man an Syrien, das zwischen 2006 und 2011 die schlimmste Dürre seit 900 Jahren erlebt hat. Eine massive Landflucht, politische Unzufriedenheit und Massenproteste waren die Folge, die letztlich auch dazu beitrugen, dass es zum Bürgerkrieg kam.

STANDARD: Gibt es Ihres Wissens Regierungen, die Vorkehrungen treffen, wie sie ihre Bevölkerung bestmöglich vor den Folgen des Klimawandels schützen können?

Rahmstorf: Die deutsche Bundesregierung beispielsweise hat eine nationale Anpassungsstrategie erarbeitet. Dazu gehört etwa die Erhöhung der Deiche an der Nordsee. Es werden sogenannte Klimadeiche gebaut mit breitem Sockel, damit sie bei Bedarf zusätzlich erhöht werden können. Es gibt auch ein Waldumbauprogramm; es werden zunehmend Baumsorten gepflanzt, die in wärmerem Klima besser gedeihen.

STANDARD: Einschränken mag sich niemand, ohne Einschränkung wird es aber wohl nicht gehen ...

Rahmstorf: Nicht alles kann man technologisch lösen. Was im Energiesektor möglich ist, geht anderswo schwer bis gar nicht. Beim Flugverkehr etwa ist fraglich, ob er sich in einer Welt mit letztlich Null Emissionen im selben Umfang aufrechterhalten lässt. Zwar wird mit kleineren Versionen von Elektroflugzeugen experimentiert, inwieweit aber ein Durchbruch gelingt, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich werden wir auch genügsamer in unserem Konsum sein müssen, gerade was Fernreisen betrifft. Meine Familie macht seit langem Winterurlaub per Bahn in Österreich. Wir fliegen nicht zum Spaß urlaubsmäßig in die Karibik. Das muss man auch nicht, um glücklich zu sein. (Günther Strobl, 19.3.2018)