Ihr Bewohner von Güllen, freut euch nicht zu früh! Die alte Dame mit dem Panther ist zwar spendierfreudig. Jedoch fordert sie als Gegenleistung ein Menschenopfer.

Foto: Werner Kmetitsch

Wien – In der Mikrowelle einer rätselhaften Wirtschaftsflaute brutzelnd, wird die Bewohner des dahinsiechenden Örtchens Güllen das eine oder andere Gebet überkommen haben. Doch Gott zahlt nicht; er gibt in Gottfried von Einems Oper Der Besuch der alten Dame auch keinen Kredit. Gott zahlt keine Steuern, wie er auch keine Bankomaten herbeizaubert. Die kleinstädtische Moral steht hier schon zu Beginn auf fragilen, zitternden Schuldnerbeinen.

In unfroher Konkurserwartung erscheint den Güllenern der Besuch einer wohlhabenden Seniorin zwar als Hoffnungsmond, der über den grauen Dächern der Stadt erstrahlt. Was da im Theater an der Wien dem Zug entsteigt, gleicht dann allerdings eher einer gruseligen Tochter Olympias, jener Puppe aus Offenbachs Hoffmanns Erzählungen.

Vokal eindringlich

Eckig müht sich die reiche Dame – mit Bein- und Handprothese – Richtung kleinstädtischer Heuchelei und Huldigung. Vom Ansinnen der Milliardärin (mit dem schwarzen Panther an ihrer Seite) hat Güllen noch keine Ahnung. Regisseur Keith Warner betont ja die artifizielle Schrillheit der Lady – sie könnte tatsächlich spendabel sein.

Mit herbem Timbre verleiht Katarina Kerneus dieser Claire Zachanassian vokal eindringlich letztlich aber eine kühle bis dramatisch fordernde Bestimmtheit. Es wird auch hörbar: Die Hoffnung der um sie tanzenden Bewohner (Herren im Tutu), Claire hätte vergessen, wie schlecht sie einst von ihrem Alfred behandelt wurde, soll sich nicht erfüllen.

Ihren Milliardenscheck gibt es nur gegen mörderische Gegenleistung. Sie fordert ein Menschenopfer, die Leiche ihrer ehemaligen Liebe Alfred. Ein Beitrag im Sinne des Wohlstands: Güllen soll "Killen" werden.

Grelle Kaufwut

Geld oder Leben also, aber nicht sofort. Warner inszeniert die Begeisterung über den Besuch detailliert wie auch die sich ausbreitende Kaufwut angesichts der Summe, welche die Rezession beenden möge. Aus der angedeuteten Stadt (Ausstattung: David Fielding) wird langsam ein bunter Supermarkt, schließlich auch ein Partyraum, in den sich eine Lok mit dem ersehnten Scheck brutal hineinrammt.

Der Pfarrer (Markus Butter) leistet sich eine Glocke. Selbst die Kinder des zu Opfernden sind dem Konsumrausch nicht abgeneigt. Da wirkt der Bürgermeister (souverän: Raymond Very), der Alfred ein Gewehr überreicht, um ihm zum Suizid zu animieren, dezent – wie auch der Lehrer (klangschöne Momente: Adrian Eröd).

Wuchtentfaltung

Ansonsten: Entfesselt ist die Gemeinde in froher Gelderwartung, während Alfred sich an die Ausweglosigkeit seiner Schuldlage gewöhnt. Als ihm bewusst wird, dass alle Moral verkauft und Gerechtigkeit neu definiert wurde, um ihn zu beseitigen, erreicht diese Figur Größe (solide: Russel Braun). Das RSO Wien unter Michael Boder ist dem szenisch Grellen ein kultivierter, klanglich präsenter und konzentrierter Partner. Diese Musik eines effektvollen Eklektizismus erscheint als handwerklich elegante Belebung der genialen literarischen Vorlage von Friedrich Dürrenmatt. Die Musik hätte zur vollen Wuchtenfaltung also wohl eines größeren Raumes bedurft.

Es kam das Einem-Jahr (100. Geburtstag) somit prägnant und diskret – mit respektablem Applaus bedacht – ins Laufen. Am Samstag geht es an der Wiener Staatsoper mit Dantons Tod weiter. Leider hat man es nicht geschafft, der Tosca-Premiere der Salzburger Osterfestspiele auszuweichen. Diese macht am Samstag Einem Konkurrenz – mit Puccini.
(Ljubisa Tosic, 19.3.2018)