Gerald Votava in der Titelrolle von Nestroys "Der Zerrissene"

Foto: Alexi Pelekanos

St. Pölten – Herr von Lips aus Nestroys Der Zerrissene ist ein wohlstandsverwahrloster Depressiver in der Midlifecrisis. Nichts holt den Superreichen noch hinter dem Ofen hervor. Von Zeit zu Zeit gilt es eine Party zu schmeißen – auch das noch. Eine Rolle, für die Gerald Votava das Timbre hat. Für die im Leben ein wenig neben sich stehenden Charaktere hat er in österreichischen Filmen schon oft ein Händchen bewiesen. Als wäre er rundum in Watte gepackt, driftet er am Landestheater Niederöstereich in Nestroys Titelrolle über die Bühne und schwebt anfangs so haltlos herum wie der Herr von Lips in seiner eigenen Haut.

Der gute Mann muss bekanntlich erst "sterben", um zu erfahren, welche Hornochsen seine Freunde sind und wie sinnstiftend es ist, im verarmten Zustand einen unverstellten Blick auf die Welt zu richten und in ihr alsbald wieder Ziele zu erkennen.

Es beginnt so: Beim buhlerischen Gerangel um die Selfie-verliebte Madame von Schleyer (Cathrine Dumont) stürzen Gluthammer (Michael Scherff) und Lips (Votava) vom Balkon in die Tiefe und direkt in den Fluss, driften in verschiedene Richtungen davon, sodass der eine vom anderen denkt, ihn gemordet zu haben. Undercover und voller Schiss vor einem Prozess suchen sie – voneinander nichts ahnend – beim Verwalter Krautkopf (schön grob und wehleidig: Haymon Maria Buttinger) Unterschlupf.

Im Partygirlandensalat

Hier, wo sich die Nestroy'sche Lehrstunde in voller Blüte ausbreitet, findet auch Sabine Derflingers Inszenierung zu einem konzentrierteren Ton. Das ganz auf Trashkurs befindliche Theaterdebüt der erfolgreichen Filmregisseurin (Vollgas bis Vorstadtweiber) kommt sich mit halbherzig eingeschleusten Couplets (von Rap bis Wienerlied) zu oft selbst in die Quere, was dem Zünden der Scherze (Wortspiele) aber keinen Abbruch tut.

Die unheilvoll in den Schnürboden aufragende Stiege (Bühne: Ina Peichl) hat sich gewendet und deutet eine Bauernstube an, in der die vermeintlichen, gar nie aus dem Partygirlandensalat herausfindenden Lips'schen Erben ihre wahren Gesichter zeigen: Stifler, Sporner und Wixer (allesamt akkurat: Tim Breyvogel, Tobias Artner, Stanislaus Dick).

Der Deprimiertheitsgrad des fassungslosen Lips erfasst Votava so sehr, dass es um dessen Körperspannung manchmal geschehen ist. Wie ein Moderator seiner selbst wirbt er auf verlorenem Posten um Verständnis für sein Schicksal. Das Textgummiband dieses antriebslosen Kapitalisten, als den ihn Nestroy einst ersonnen hat, hört sich dann mitunter so an wie eine sich im Kreis drehende Sitzung beim Psychiater.

Doch da ist zum Glück Kathi (Fels in der Brandung: Josephine Bloéb). Sie richtet den netten, aber ziellosen Lips, der in ihr die Herzallerliebste entdecken wird, fürsorglich immer wieder auf. (Margarete Affenzeller, 19.3.2018)