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Eine Heroinnadel auf den Straßen Pennsylvanias.

Foto: REUTERS/Charles Mostoller

US-Präsident Donald Trump hat mit seiner neuerlichen Forderung nach der Todesstrafe für besonders schwerwiegende Drogendelikte, "wenn es unter dem geltenden Gesetz angemessen ist", abermals Schwung in die Diskussion über die Opioidkrise der USA gebracht. Sie erfasst die Vereinigten Staaten nun seit knapp drei Jahrzehnten immer stärker. Mehr als 340.000 US-Bürger sind seit dem Jahr 2000 an Überdosen verschiedenster Opioide gestorben. In den nächsten zehn Jahren werden in etwa 650.000 weitere Todesopfer folgen, wenn nicht rasch gehandelt wird, schätzt das US-Gesundheitsmagazin "Stat".

Die Krise, die in den 1990er-Jahren so richtig Fahrt aufnahm und sich besonders in den letzten Jahren eklatant zuspitzte, wurde mittlerweile als nationales Problem erkannt. Klare Strategien im Umgang mit der vielseitigen Droge fehlen jedoch bisher.

Die Gruppe der Opioide umfasst eine große Bandbreite von legalen Schmerzmitteln bis hin zu illegalen Substanzen wie Heroin und dem synthetisch hergestellten, überaus süchtig machenden Fentanyl sowie zahlreichen Abwandlungen. Jährlich sterben mittlerweile mehr US-Amerikaner an Opioidüberdosen als durch Waffengewalt, Autounfälle und Aids zusammen. Auf das Konto von Opioiden gehen pro Jahr mehr Menschenleben, als die Kriege in Vietnam und dem Irak zusammen unter den US-Soldaten forderten. Sogar die durchschnittliche Lebenserwartung fiel 2015 und 2016 durch die zahlreichen Drogenopfer zum ersten Mal seit den frühen 1960er-Jahren wieder in zwei aufeinanderfolgenden Jahren.

Mögliche Antworten auf die Krise reichen von medizinisch belegten Ansätzen von Ärztevertretern, die die Epidemie als gesamtgesellschaftliches und gesundheitliches Problem erkennen und behandeln wollen, über suchtbekämpfende Impfungen bis hin zu vereinfachten Ansätzen wie jenem von US-Präsident Trump, Drogendealern mittels Androhung der Todesstrafe Angst vor dem lukrativen Geschäft zu machen.

Treibender Faktor Wirtschaft

Die wirtschaftliche Komponente dieser Krise spielt dabei eine wichtige Rolle. Einerseits errechnete das Weiße Haus kürzlich, dass durch die Zuspitzung in den letzten Jahren allein im Jahr 2015 ein wirtschaftlicher Schaden von rund 500 Milliarden Dollar entstanden ist – sei es durch Todesfälle, Kosten für das Gesundheitssystem, verlorene Produktivität oder auch Kosten der Strafjustiz.

Andererseits befeuerte der Drang nach effektiverem und kostensparenderem Arbeiten die Ausweitung der Krise während der 1990er-Jahre. Nicht nur sahen Vertreter der Pharmaindustrie einen enormen Absatzmarkt durch den stetigen Anstieg chronischer Schmerzpatienten, die die rasche Wirkung der Schmerzstiller schätzten – auch Ärzte sahen im Einsatz der Opioide einen effizienten Weg, Patienten zufriedenzustellen und möglichst rasch wieder aus dem Behandlungszimmer zu entlassen.

Es begann mit einem Leserbrief

Ärzte gingen in der Folge immer laxer mit dem Verschreiben von Schmerzmitteln wie beispielsweise Oxycontin um. Zuvor hatte ein fünfzeiliger Leserbrief eines Arztes, abgedruckt im renommierten "New England Journal of Medicine", die Suchtgefahr von Opioiden verharmlost. Laut der zweifelhaften Studie seien nur vier von rund 12.000 Patienten, die mit Opioiden behandelt wurden und vorher kein Suchtverhalten aufgewiesen hatten, abhängig geworden. Heute noch rätseln Ärzte, wie dieser Brief mehr als 600-mal in Fachaufsätzen zitiert werden konnte.

Zudem behandelten die Ärzte Patienten mit den Medikamenten meist zu lange. Das machte vor allem 40- bis 50-jährige Männer im Nordosten der USA ab den 1990er-Jahren zusätzlich abhängig. Das massive Investment der Pharma-Industrie in das Marketing trug das Übrige dazu bei. Zu alldem gesellte sich noch ein soziostrukturelles Problem der politischen Landschaft: Es war und ist nach wie vor leichter, sich an legalen und illegalen Substanzen zu berauschen, als an die notwendigen Einrichtungen und Medikamente zur Bekämpfung von Abhängigkeiten und Suchtverhalten zu kommen. Besonders die nordöstlichen Bundesstaaten sowie jene des Mittleren Westens wie Ohio, West Virginia, New Hampshire und Pennsylvania sind überproportional stark betroffen.

Schwieriger Zugang zu anderen Heilmethoden

Nur rund zehn Prozent aller Süchtigen bekommen laut einem Bericht der US-Gesundheitsbehörde adäquate Hilfe. Rund 100 Millionen US-Amerikaner leiden jedoch unter chronischen Schmerzen. Viele davon sind tatsächlich auf starke Schmerzmittel angewiesen, und niemand will diese für chronische und besonders für akute Schmerzpatienten generell verbieten. Es ist jedoch auch kein Geheimnis, dass viele der chronischen Schmerzpatienten mindestens so gut mit alternativen Behandlungsmethoden wie Physiotherapie, Akupunktur oder anderen Mitteln der selbstständigen Schmerzlinderung behandelt werden könnten. Dafür fehlen aber einem Großteil der US-Amerikaner die Mittel, nur selten decken die Krankenversicherungen jene Behandlungsmethoden ab – wenn die Betroffenen überhaupt über eine solche Versicherung verfügen. Schmerzmittel sind schlichtweg günstiger.

Heroin und Fentanyl befeuern die Krise

Der Teufelskreis setzte sich fort, als das stärkere und noch süchtiger machende Heroin dann auf einmal noch günstiger als die Schmerztabletten zu haben war. Forscher fanden in einer 2014 veröffentlichten Studie heraus, dass rund 75 Prozent der Heroin-Abhängigen in den USA mit legalen und illegalen Schmerzmitteln als "Einstiegsdroge" starteten. Außerdem wurde der durchschnittliche Opioid-Konsument in den vergangenen Jahren zusehends jünger.

Als die Nachfrage nach Heroin stieg, zog der Markt schnell nach, um das nötige Angebot zu stellen. Bereits wenig später wurde Heroin oftmals durch das wiederum stärkere und abhängiger machende synthetische Fentanyl ergänzt. Oftmals wurden kleinere Mengen Fentanyl ins Heroin gegeben, um die Kundschaft an die höhere Dosis zu gewöhnen und sie zum Kauf der neueren Droge zu animieren. Heroin und Fentanyl trugen in den vergangenen Jahren maßgeblich zu einem enormen Zuwachs von Todesfällen durch Überdosen bei, denn die "richtige" Dosis ist schlichtweg schwerer abzuschätzen. Außerdem machen die Drogen stärker süchtig als Schmerztabletten, und die am illegalen Markt erworbenen Substanzen sind oft verunreinigt oder falsch portioniert.

Gesamtgesellschaftliches Problem

Zu den Gründen für tödliche Überdosen kamen in den letzten Jahren außerdem vermehrt Benzodiazepine. Aber auch ein Anstieg der Anzahl von Suiziden und Alkoholtoten ist in den USA zu beobachten. Die Krise ist also keineswegs ein alleinstehendes Ereignis, sondern ein massives gesamtgesellschaftliches Gesundheits- und Sozialproblem, das viele Gründe hat. Erschwerend kommt hinzu, dass in den USA Drogenabhängige immer noch eher als gescheitert und kriminell denn als krank und hilfsbedürftig angesehen werden.

Auch deshalb haben es fortschrittliche Ansätze wie die von vielen Ärzten geforderte medikamentengestützte Behandlung – etwa mit medizinisch korrekt verabreichtem Heroin – zum schrittweisen Abbau einer Sucht schwer, in den USA den nötigen Anklang bei den dafür zuständigen Gesetzgebern zu finden. Trumps harte Linie gegenüber Drogendealern lässt wohl auf wenig Hoffnung für zeitgemäße Methoden in der Behandlung von Drogenopfern schließen. (Fabian Sommavilla, 20.3.2018)