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Kündigten an, im Gedenkjahr ein "Zeichen des Erinnerns zu setzen": Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache.

Foto: ap/Ronald Zak

Anlässlich des 80. Jahrestags des "Anschlusses" beschließt die Regierung

Aus meiner beruflichen Tätigkeit für das Psychosoziale Zentrum Esra weiß ich um die große Bedeutung des "Social Support" für Menschen, die durch Verfolgung traumatisiert wurden. Medizinisch, psychotherapeutisch und sozialarbeiterisch kann viel für Betroffene geleistet werden. Die Arbeit für Überlebende der NS-Verfolgung und deren Nachkommen ist eine der Hauptaufgaben des Psychosozialen Zentrums Esra.

Viele Menschen, die durch das menschenverachtende NS-Regime, durch die Gesellschaft, ihre nächste Umgebung verfolgt, gepeinigt und vertrieben wurden, verloren das Vertrauen in ihre Mitmenschen und die Menschlichkeit generell. Sie waren schutzlos einer Willkür ausgeliefert, der sich zu wenige entgegenstellten. Nur wenige wagten die Verfolgten zu unterstützen, zu verstecken oder auf andere Weise deren Überleben zu ermöglichen.

Vertrauensverlust über Generationen

Dieser Vertrauensverlust in die Menschheit übertrug sich in vielen Fällen auch auf die Nachkommen der Verfolgten. Auch heute noch sehen viele der Nachfolgegenerationen der NS-Opfer die Politik und die Gesellschaft skeptisch und kritisch. Durch das Anerkennen des Leids und durch das Wahrnehmen dieser Schicksale kann die Gesellschaft und eben auch das offizielle Österreich einen wichtigen Beitrag den Überlebenden der NS-Verfolgung und deren Nachkommen gegenüber leisten. Dieser "Social Support" ist eine Form der Hilfe und Unterstützung, die jede und jeder bieten kann. Man braucht dazu keine Ausbildung, kein Diplom. Man benötigt Empathie, Respekt vor Menschen – Menschlichkeit.

In diesem Sinne und als Zeichen der Verantwortung der Republik Österreich gegenüber NS-Überlebenden, die aus Österreich durch Österreicher vertrieben, verfolgt, gejagt und ermordet wurden, ist der Beschluss der Regierung zur Errichtung eines Gedenkortes zu begrüßen. Umso mehr, wenn damit die Warnung an heutige und zukünftige Generationen verbunden ist, wie Politik, wie Populisten große Teile der Bevölkerung zu menschenverachtenden Haltungen und Handlungen verleiten können. Ein Mahnen, wie Gruppen der Gesellschaft für Missstände im Staat verantwortlich gemacht und zu Sündenböcken gestempelt werden können.

Aller Opfergruppen gedenken

Es ist zu begrüßen, dass die zehntausenden Ermordeten der Anonymität entrissen werden. Gräber gibt es für fast keine der Ermordeten. So sollen die 66.000 Namen der Juden verewigt werden. Juden sind die größte Gruppe der Verfolgten. Es war das dezidierte Ziel der Nazis, das Judentum zu vernichten. Dies hatten sie auch mit anderen Minderheiten vor. Alle Ermordeten, unabhängig vom vorgegebenen Verfolgungsgrund, also auch Roma, Sinti, Slowenen, Widerstandskämpfer, politisch Verfolgte, Homosexuelle und so weiter hatten das gleiche Leid zu ertragen, lagen auf den gleiche Pritschen im KZ, schleppten die gleichen Granitblöcke in Mauthausen und wurden wie auch kranke und behinderte Menschen auf bestialische Weise ermordet. Daher sollte meiner Meinung nach die Republik aller Opfergruppen gedenken, will man nicht unter den Opfern eine Hierarchisierung schaffen. Das schmälert nicht das Andenken an die jüdischen Opfer und macht noch deutlicher, wie menschenverachtend dieses System, die Ideologie und dieses Regime waren.

Inneres Bedürfnis oder politisches Kalkül?

Ein bleibendes Zeichen im Andenken an die Opfer der Shoah zu setzten beschließt eine Regierung, die zum Teil aus Mitgliedern besteht, die rechtsradikale und auch antisemitische Medien bis in die jüngste Vergangenheit unterstützten. Medien, die KZ-Häftlinge als "Landplage" bezeichneten. Es sind Personen, die Karikaturen von Bankern mit Hakennase und Davidstern-Manschettenknöpfen verbreiteten.

Es drängt sich die Frage auf, ob dieses "Zeichen" nun aus einem inneren Bedürfnis der Mitglieder der Regierung gesetzt wird oder ob auch politisches Kalkül dahinter steht. Sollen etwa damit Kritiker der Koalition zwischen ÖVP und einer fragwürdigen FPÖ beruhigt werden? Ich frage mich, wie wohl Heinz-Christian Strache noch vor ein paar Jahren auf so ein Vorhaben einer Vorgängerregierung reagiert hätte. Hätte er dieses Vorhaben unterstützt oder vielleicht mit Hinweis auf die Kosten regelrecht zerfetzt? Welche Wortspiele hätte er, mithilfe Herbert Kickls, am Aschermittwoch unter tosendem Applaus der Menge zugerufen?

Ja, man sollte Menschen zugestehen, dass sie klüger und weiser werden, sich ändern können. Mir fiele das viel leichter, wenn die FPÖ aus eigener Initiative sich von Personen trennt, die mit antisemitischen oder xenophoben Organisationen und Medien Kontakte pflegen beziehungsweise diese unterstützen. Dazu benötigt man keine Kommission. Es reichen ein selbstkritischer Blick, die Berichte vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands und die Studie von SOS-Mitmensch zur "Systematischen Unterstützung von Antisemitismus durch die FPÖ".

Wenn die FPÖ sich aus eigenem Antrieb von menschenverachtender, antisemitischer oder anderer minderheitenfeindlicher beziehungsweise NS-Gesinnung tatsächlich trennt, ohne vom "Falter" oder "Profil" "erwischt" zu werden, wäre die Betroffenheit der Minister über die Opfer des NS-Regimes glaubhafter.

Finanzierung offen

Zwei Tage nach dem Regierungsbeschluss wird bekannt, dass die Finanzierung für die Gedenkwand noch gar nicht steht, also die Regierung ein Projekt "ideell" unterstützt und über die Finanzierung noch überlegen und verhandeln will.

Also nochmals die Frage: Ist der Regierung das Gedenken an die jüdischen Ermordeten, eventuell alle Opfer des NS-Regimes, ein echtes Bedürfnis, ein Anliegen aus dem Verständnis des Unrechts, unendlichen Leids und der Verantwortung – oder ist es lediglich ein PR-Gag? (Peter Schwarz, 19.3.2018)