Auslaufmodell Alpengletscher: Die Weißkugel (3.738 Meter) ist Österreichs dritthöchster Berg, doch wie lange wird sie noch weiß sein? Bis vor kurzem war der Hintereisferner (Bildmitte) noch mit den Seitengletschern (rechts darüber) verbunden.
Foto: : Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften, Universität Innsbruck

Bremen/Innsbruck/Wien – Das Ziel ist höchst ambitioniert: Im Übereinkommen von Paris haben sich 195 Mitgliedsstaaten der Uno Ende 2015 auf die Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad Celsius geeinigt, wenn möglich auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Diese erheblichen Anstrengungen sollen die langfristigen Risiken des Klimawandels möglichst reduzieren. (Unternehmen wir wenig bis nichts, können die Temperaturen aber auch um drei bis vier Grad steigen.)

Was bedeutet dieses Vorhaben – sofern erfolgreich – für die Entwicklung der Gletscher unseres Planeten? Die Klimaforscher Ben Marzeion und Nicolas Champollion (Uni Bremen) sowie Georg Kaser und Fabien Maussion (Uni Innsbruck) haben nun erstmals berechnet, welche Effekte die Einhaltung dieser Klimaziele auf die fortschreitende Gletscherschmelze hat, die sich wiederum auf den Anstieg des Meeresspiegels auswirkt.

Dramatische Ergebnisse

Das Forscherteam hat für sämtliche Gebirgsgletscher dieser Erde (mit Ausnahme von Grönland und der Antarktis) mehrere Entwicklungsszenarien durchgerechnet, und die im Fachblatt "Nature Climate Change" publizierten Hauptergebnisse sind einigermaßen dramatisch und zugleich frustrierend: Auch ohne weiteren Ausstoß von Treibhausgasen würde etwa 36 Prozent des heute noch in Gletschern gespeicherten Eises langfristig schmelzen. Bis zum Ende des Jahrhunderts sind knapp unter 30 Prozent.

Für die Entwicklung der Gletscher in den nächsten 100 Jahren macht es keinen bedeutenden Unterschied, ob die Durchschnittstemperatur um zwei oder nur 1,5 Grad Celsius steigt. Bei einer Erwärmung um 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau verlieren die Gletscher bis zum Jahr 2100 so viel Eis, dass der Meeresspiegel um acht Zentimeter gehoben wird. Im Zwei-Grad-Szenario wäre es nur ein Zentimeter mehr. Nicht berücksichtigt sind dabei – wie gesagt – die für die Meere bedeutsameren Eisschilde Grönlands und der Antarktis.

Vorbestimmtes Schmelzen

Georg Kasers Interpretation dieser Prognosen fällt unmissverständlich aus: "Für die Gletscher ist es fünf nach zwölf. Wir haben in der Vergangenheit durch Treibhausgasemissionen bereits Entwicklungen angestoßen, die sich nicht mehr aufhalten lassen." Ähnlich sehen das auch Wissenschafter, die an der Studie nicht beteiligt waren, diese aber kommentierten: So bestätigt etwa Klimaforscher Christoph Schneider (Humboldt-Uni Berlin), dass der Gletscherschwund bis 2040 allein durch die Emissionen der Vergangenheit bestimmt ist.

Bereits Anfang des Monats haben Forscher um Martin Beniston (Uni Genf) im Fachblatt "The Cyrosphere" die neuesten Erkenntnisse zu den Gebirgsgletschern in Europa zusammengefasst. Ihre Prognosen fallen ähnlich pessimistisch aus. Bei mittleren Szenarien für den Treibhausgasausstoß werden bis zum Jahr 2100 zwischen 76 und 97 Prozent des Eisvolumens in den Alpen verschwinden, besonders betroffen sind die Ostalpen, also jener Teil, der in Österreich liegt.

Können wir also gleich auf alle Klimaschutzmaßnahmen verzichten, weil "eh schon alles egal" ist? Nein, im Gegenteil: Über das aktuelle Jahrhundert hinaus betrachtet werden die künftigen Unterschiede beim Ausstoß der Treibhausgase für die Gletscher umso wichtiger. Entsprechend macht es durchaus einen Unterschied, ob nur das Zwei-Grad-Ziel oder das 1,5-Grad-Ziel erreicht wird, da Gletscher langsam auf klimatische Veränderungen reagieren, so Kaser: "Unser heutiges Verhalten hat sehr wohl Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung der Gletscher – das sollten wir uns bewusst machen."

Gletschereis pro Autokilometer

Um diese Auswirkungen greifbar zu machen, haben die Forscher aus Bremen und Innsbruck im Rahmen ihrer Studie auch errechnet, dass jedes Kilogramm Kohlendioxid, das wir heute ausstoßen, langfristig 15 Kilogramm Gletscherschmelze verursachen wird. Ben Marzeion hilft, diese Angabe für den Alltag nachvollziehbar zu machen. Die Botschaft für Autofahrer: "Umgerechnet auf ein 2016 neu zugelassenes Durchschnittsauto bedeutet das: Alle fünfhundert Meter Autofahrt geht ein Kilo Gletschereis verloren." (Klaus Taschwer, 20.3.2018)