Graz – Im Körper vorhandene Cannabinoide (Endocannabinoide) spielen eine wichtige Rolle im Gehirn und Immunsystem. Sie docken an Rezeptoren an und wirken entzündungshemmend und schmerzstillend. Im Hinblick auf Krebs wird auch die Wirkung von Cannabinoiden aus Hanf diskutiert. Der Grazer Pharmakologe Rudolf Schicho rät zur Vorsicht. Im Endocannabinoid-System gebe es auch Rezeptoren, die Krebs fördern.

Das Team um Schicho am Otto-Loewi-Forschungszentrum der Grazer Med-Uni erforscht die Entstehung des Dickdarmkarzinoms. Die Gruppe hat die Rolle eines Rezeptors, der ein starkes Vorkommen im Gastrointestinal-Trakt hat, untersucht. Dieser sogenannte Membranrezeptor GPR55 ist ein Rezeptor an der Oberfläche von Zellmembranen, der mit anderen Rezeptoren wie beispielsweise Cannabinoid-Rezeptoren zusammenarbeitet – und teilweise auch selbst durch Cannabinoide in seiner Tätigkeit reguliert wird.

Unerwartete Wirkung im Darm

Zusammen mit den Cannabinoid-Rezeptoren gehört GPR55 zum sogenannten Endocannabinoid-System. Dieses System ist in unserem Körper für elementare Vorgänge wie Appetit und Emotionen verantwortlich, spielt aber auch bei Schmerz, Immunabwehr, Entzündung und Krebs eine Rolle, wie Schicho erklärte. "Wir konnten in unserem Projekt zeigen, dass GPR55 im Gegensatz zu den Cannabinoid Rezeptoren, von denen man annimmt, dass sie den Darm vor schädlichen Einflüssen schützen und die Heilung beschleunigen, eine entgegengesetzte Rolle spielt", fasste der Pharmakologe und studierte Biologe die Ergebnisse der vom Forschungsfonds FWF geförderten Grazer Forschungen zusammen.

Für ihre Forschungen hat das Grazer Team bei Mäusen ein bestimmtes Gen ausgeschaltet, das heißt, dass diesen der Rezeptor GPR55 fehlte. Daraufhin konnten sie beobachten, dass diese Mäuse weniger Tumorwachstum im Dickdarm aufwiesen als gewöhnliche Mäuse – entsprechende Ergebnisse kannte man bereits aus Studien zu Hautkrebs. Die Forscher schließen daraus, dass GPR55 das Tumorwachstum fördert.

"Wir haben uns auch die Mikro-Umgebung des Tumors angesehen, denn ein Tumor besteht nicht nur aus Tumorzellen. Es gibt dort immer auch eine große Zahl von Leukozyten", schilderte Schicho. Die Analyse dieser weißen Blutkörperchen-Population von Krebspatienten hilft Medizinern, den Verlauf der Krankheit einzuschätzen. "Bei den Mäusen ohne GPR55 beobachteten wir eine völlig veränderte Leukozyten-Population", erklärte Schicho. Er vermutet, dass dieser Umstand das Tumor-Wachstum bremst. Die Grazer Forscher interpretieren daraus abermals, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Rezeptor GPR55 und dem Tumor-Wachstum gibt. "Wir kennen allerdings den genauen Mechanismus, wie GPR55 auf die Immunzellen wirkt, noch nicht. Da müsste man weiterforschen", hob der Grazer Experte hervor.

Neue Immuntherapien gegen Krebs

Die Leukozyten spielen weiters eine wichtige Rolle bei der Metastasenbildung. Im Projekt habe sich in Experimenten in der Petri-Schale und teils an Mäusen gezeigt, dass durch Ausschalten des Rezeptors GPR55 auch das Auswandern der Krebszellen in die Leber behindert wurde. "Das lässt sich womöglich gegen die Bildung von Metastasen verwenden", überlegte Schicho. Er verspricht sich von den Ergebnissen auch Auswirkungen auf die Etablierung von neuen Immuntherapien gegen Krebs. Bisher befinde man sich noch im Bereich der Grundlagenforschung, betonte der Forscher.

Mögliche Wirkstoffe gegen den ungünstigen Wirkmechanismus von GPR55 seien bei anhaltender Forschung vielleicht in zehn Jahren zu erwarten. Hingegen werde Cannabis schon jetzt als Medikament eingesetzt. Bisherige positive Ergebnisse seien aus seiner Sicht nun doch infrage gestellt: "Im Endocannabinoid-System gibt es neben Rezeptoren, die vor Krebs schützen, auch solche, die Krebs fördern", fasst der Grazer Wissenschafter seine bisherigen Erkenntnisse zusammen.

Er rät zur Umsicht bei der Verwendung von Cannabinoiden zu medizinischen Zwecken: "Es wird oft behauptet, Cannabis sei gut, man könne das bei diesen und jenen Krankheiten verschreiben", umriss Schinko. Es gelte aber zu bedenken, wie Cannabis eigentlich wirkt. "Wir haben ein umfassendes Endocannabinoid-System und wissen noch lange nicht, wie alles zusammenwirkt. Da ist noch viel zu tun", hielt Schicho fest. Bevor man gesellschaftspolitisch beurteilen könne, ob Cannabis freigegeben werden soll oder als Medikament verwendet wird, "müssen wir mehr darüber wissen", schloss der Grazer Forscher. (APA, 20.3.2018)