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Nicolas Sarkozy am Mittwoch Morgen vor seinem Haus in Paris.

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Frankreichs Ex-Präsident steht im Visier der Ermittler.

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2007 empfing Sarkozy Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi in Paris. Vier Jahre später ließ er dessen Land bombardieren.

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Es ist ein Krimi, dessen letzte Seiten gerade geschrieben werden. Das Schlusskapitel begann Dienstagfrüh mit einer Justizvorladung Sarkozys nach Nanterre bei Paris. Sie wurde dann gleich in Polizeigewahrsam umgewandelt – was ungewöhnlich ist. Der Vorwurf: illegale Wahlkampffinanzierung. Sarkozy soll vom libyschen Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi bis zu 50 Millionen Euro an verdeckter Wahlkampfhilfe erhalten haben. Der Vorwurf klingt so verrückt, dass viele Franzosen auch nach Jahren nur ungläubig den Kopf schütteln: Kann es möglich sein, dass sie fünf Jahre lang von einem Mann regiert wurden, der bereit war, Derartiges für seine Wahl zu tun?

Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy ist festgenommen worden. Er wird von den Ermittlern der Antikorruptionsbehörde zu Geldflüssen von Libyens Ex-Diktator Gaddafi befragt.
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Doch da sind die Fakten, die historischen Umstände: 2005, als die UN-Sanktionen gegen Libyen wegen Terrorismusunterstützung gefallen waren, besuchte Nicolas Sarkozy, damals Innenminister, erstmals Gaddafi. In der Wahlkampagne von 2007 dann mietete sein Wahlkampfchef Claude Guéant in der Bank BNP Paribas ein großes Schließfach. Darin will Sarkozy, sagte er später, freilich nur Reden und Archivmaterial deponiert haben – ob das stimmt, steht freilich in Zweifel.

Nach seiner Wahl zum Präsidenten befreite Sarkozy in einem Mediencoup 2007 fünf bulgarische Krankenschwestern aus libyscher Haft. Dafür kaufte Gaddafi über Mittelsmann Ziad Takieddine mehrmals französisches Militärmaterial. Sarkozy empfing ihn in Paris fünf Tage lang als Ehrengast – der sogar sein Zelt in einem Palastgarten aufstellen durfte.

2011 wurde Takieddine dann an einem Pariser Flughafen mit 1,5 Millionen Euro im Koffer festgenommen. Darauf packte er aus: Er berichtete, wie das Wahlkampfgeschenk über Guéant – inzwischen Sarkozys Innenminister – abgewickelt worden sei. Einen Koffer mit Bündel von 200- und 500-Euro-Scheinen will er in die Wohnung Sarkozys, Taschen in Guéants Büro gebracht haben.

Als in Libyen der Aufstand gegen das Gaddafi-Regime begann, unterstützte Frankreich als erstes westliches Land die Rebellen. Pariser Medien fragten, warum Sarkozy plötzlich gegen den Diktator sei. Umgekehrt erklärte dessen Sohn Saïf öffentlich: "Sarkozy muss das Geld zurückgeben, das er von Libyen für seine Wahlkampagne erhalten hat."

Der Tote in der Donau

2011 wurden Gaddafis Stellungen auf Betreiben Sarkozys vor allem durch französische und britische Kampfjets unter Nato-Siegel bombardiert. Der Ex-Diktator kam auf der Flucht ums Leben. Sein Kabinettschef Bechir Saleh, der mit Guéant viele Deals abgewickelt hatte, wurde von Sarkozy-Vertrauten aus Libyen ausgeflogen und nach Südafrika gebracht, obwohl ihn Interpol suchte.

Der frühe libysche Ölminister Schukri Ghanim, der Saleh in einem Protokoll schwer belastete, fand hingegen ein baldiges Ende. Er wurde in Wien tot aus der Neuen Donau gezogen; die österreichische Polizei fand sein Ableben "hoch verdächtig". Mediapart veröffentlichte in der Folge libysche Behördenakten, die von der Geldüberweisung an Sarkozys Wahlkampfbüro zeugten. Die Pariser Justiz eröffnete darauf ein Vorverfahren gegen den Präsidenten.

Der Staatschef hatte trotz eines betonten Rechtskurses wenig handfeste Reformen vorzuweisen, hingegen die Staatsschuld und die Steuern erhöht. 2012 verlor er die Präsidentschaftswahl gegen den Sozialisten François Hollande. Die Justiz begann zu ermitteln.

Die U-Haft, in der sich Sarkozy Dienstag befand, kann maximal 48 Stunden dauern. Dann muss er einem Richter vorgeführt oder freigelassen werden. Das Fahrzeug des Ex-Präsidenten verließ um Mitternacht den Parkplatz des Polizeigebäudes von Nanterre.

Diese Maßnahme wird in Frankreich häufig angewendet; sie kann zur Anklageerhebung führen, wenn der Richter "schwere und übereinstimmende Indizien" hat. Eines ist anzunehmen: Ein gewesener Präsident – der in Frankreich dank seiner quasimonarchistischen Funktion eine anhaltende Aura wahrt – käme nicht einfach so in Haft.

Verhaltene Reaktionen

Die ersten Reaktionen sind in Paris verhalten, ja vorsichtig ausgefallen. Sarkozy bleibt wohl der populärste Rechtspolitiker Frankreichs und hat ein Comeback nie ausgeschlossen; eine Verurteilung in der Gaddafi-Affäre würde allerdings sein politisches Ende bedeuten. Die Republikanerin Valérie Pécresse erklärte, sie habe Mühe, an diese angebliche Affäre zu glauben. Der kommunistische Senator Eric Bocquet twitterte andererseits: "Nähern wir uns endlich der Wahrheit?"

Diese besteht wohl auch in der Einsicht, dass es ohne Sarkozys Insistieren nicht zu dem gleichen, zumindest gleich entschlossenen Nato-Einsatz gegen Tripolis gekommen wäre. Und dort würde vielleicht heute nicht die gleiche Anarchie herrschen. Der aktuelle Migrationsstrom durchliefe womöglich auch nicht einen unkon trollierten Wüstenstaat. Es ist keine pure Politfiktion, zu glauben, dass es ohne die Gaddafi-Sarkozy-Connection am Südrand Europas heute weniger "Lampedusa" und weniger Schlauchboottragödien gäbe: ganz einfach, weil der libysche Gewaltherrscher oder sein Clan noch an der Macht wären. (20.3.2018)