Proteste für die Freilassung von Ahmet Altan vor einem Gericht in Istanbul im Juni. Der türkische Journalist befindet sich immer noch in Haft.

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Ankara/Straßburg– Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei wegen der unrechtmäßigen Untersuchungshaft zweier prominenter Journalisten verurteilt. Die Türkei habe rechtswidrig gehandelt, als sie Şahin Alpay und Mehmet Altan in U-Haft behielt, obwohl das Oberste Gericht ihre Freilassung angeordnet hatte, urteilten die Richter am Dienstag.

Dieses Vorgehen stehe im Widerspruch zu "fundamentalen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit", befanden die Richter. Sie urteilten außerdem, dass die Türkei mit der Strafverfolgung der Journalisten deren Meinungsfreiheit verletzt habe. Kritik an der Regierung dürfe nicht als Terrorunterstützung geahndet werden. Die beiden Journalisten aufgrund von Meinungsäußerungen zu verhaften sei in einer demokratischen Gesellschaft nicht angemessen.

Altan zu lebenslanger Haft verurteilt

Damit haben türkische Journalisten, die nach dem Putschversuch im Juli 2016 verhaftet worden waren, zum ersten Mal erfolgreich vor dem Straßburger Gericht geklagt, sagte eine Gerichtssprecherin.

Alpay, ehemaliger Mitarbeiter der inzwischen geschlossenen regierungskritischen Zeitung "Zaman", ist mittlerweile aus dem Gefängnis entlassen und unter Hausarrest gestellt worden. Das Verfahren gegen den 74-Jährigen, dem Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen wird, läuft noch. Ein Prozesstermin steht noch nicht fest.

Altan, Professor für Volkswirtschaftslehre und Kolumnist mehrerer Zeitungen, sitzt weiter im Gefängnis. Er wurde im Februar wegen versuchten Umsturzes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Auch Uno erhebt Vorwürfe

Kritik an der Türkei gab es am Dienstag auch von den Vereinten Nationen, die Ankara aufforderten, den seit dem Putschversuch geltenden Ausnahmezustand aufzuheben. Dieser habe zu massiven Menschenrechtsverletzungen geführt, darunter die oft willkürliche Verhaftung von 160.000 Menschen und die Entlassung einer ähnlich hohen Zahl an Mitarbeitern aus dem öffentlichen Dienst, erklärte das UN-Menschenrechtsbüro am Dienstag.

Die hohe Zahl der Erlasse und das häufige Fehlen einer Verbindung mit einer nationalen Bedrohung deuteten darauf hin, dass der Notstand ausgenutzt werde, um jegliche Kritik an der Regierung zu ersticken, kritisierte das UN-Menschenrechtsbüro. Die Türkei wies die Vorwürfe umgehend zurück. Der UN-Bericht enthalte "unbegründete Vorwürfe, die perfekt zur Propaganda von Terrororganisationen passen", erklärte das Außenministerium.

UN-Menschenrechtskommissar Zeid Ra'ad al-Hussein sagte, die Zahl der Verhaftungen sei "schlichtweg erschütternd". "Lehrer, Richter und Anwälte gekündigt oder angeklagt; Journalisten verhaftet, Medien geschlossen und Internetseiten gesperrt – es ist eindeutig, dass die verschiedenen Stufen des Notstands genutzt wurden, um die Menschenrechte einer großen Zahl von Menschen schwer zu verletzen." (APA, red, 20.3.2018)