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Venetia Scott im Februar 2018 bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in ihrer Heimatstadt London.

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Viele Jahre waren Sie ein Paar: Ohne Venetia Scott wäre aber auch die berufliche Karriere von Fotograf Juergen Teller ganz anders verlaufen.

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Venetia Scott lernte bei "Vogue"-Redakteurin Grace Coddington (vorn), sie stylte die Shows von Marc Jacobs (links) und begleitete die Karriere von Model Kate Moss (rechts).

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Ein verregneter Tag in London. Das kleine Kaffeehaus in North Kensington hat nur noch draußen Tische frei, der Regen trommelt auf das Vordach. An einem der Tische wartet die Stylistin, Fotografin und neue Mode-Chefin der britischen Vogue Venetia Scott und beobachtet das Treiben auf der Straße. Sie trägt Jeans, plumpe Schnürschuhe, einen blitzblauen Rollkragenpullover und einen blauen Mantel.

Dass diese Frau etwas mit Mode zu tun hat, sieht man ihr nicht an – dabei ist sie eine der bekanntesten Stylistinnen der Welt. In den späten 1980er-Jahren arbeitete sie mit Models wie Kate Moss, Fotografen wie Juergen Teller (mit dem sie eine Tochter hat), Corinne Day oder Helmut Newton zusammen: Sie sorgten dafür, dass "Grunge", das Unperfekte und das Ungebügelte, auch bei der Vogue ankam.

STANDARD: Wenn Sie Menschen auf der Straße beobachten, juckt es Sie dann manchmal in den Fingern, ihnen ein besseres Styling zu verpassen?

Venetia Scott: Nein, ich würde den Stil einer Person nie ändern wollen. Kleidung kann das Selbstbewusstsein eines Menschen stärken und dafür sorgen, dass dieser sich wohler oder mehr sexy fühlt. Es ist jedermanns eigene Entscheidung, wie er sich selbst darstellen möchte.

STANDARD: Sie arbeiten viel mit dem Fotografen Jürgen Teller zusammen. Gemeinsam haben Sie die Modefotografie verändert. Wie lernten Sie einander kennen?

Scott: Ich traf Jürgen 1989 in Paris, und als wir beide wieder in London waren, fragte ich ihn, ob er nicht Lust hätte, mit mir nach Rumänien zu fahren, um eine Geschichte für das Magazin The Face zu fotografieren. Wir nahmen eine Tasche mit Kleidungsstücken mit, mieteten einen Trabant und fuhren von Bukarest nach Cluj. Wir fotografierten Menschen, denen wir unterwegs begegneten. Das war der Beginn einer sehr engen 14-jährigen Zusammenarbeit.

STANDARD: In den Neunzigerjahren waren Sie Teil der "Nouvelle Vague Anglaise". Wer steckte dahinter?

Scott: Wir waren eine Gruppe von Fotografen, Stylisten, Models, Haar- und Make-up-Stylisten, die in London zusammenarbeiteten und sich in eine ähnliche Richtung entwickelten. Am Anfang fühlte sich das fast wie eine Jugendbewegung an. Unsere Arbeiten sahen unterschiedlich aus, aber wir alle wollten uns von der Elite abheben. Wir haben eine neue Zerbrechlichkeit und Coolness entworfen, die auf der Ausstrahlung und Haltung der Models und nicht auf deren Status fußte. Die Kleider waren oft aus Secondhand-Shops vom Portobello-Markt und widersetzten sich dem Materialismus der Achtzigerjahre.

STANDARD: Wie haben Sie die Modewelt beeinflusst?

Scott: Als wir alle anfingen, waren wir uns nicht bewusst, wohin das alles ging und was es bedeutete. Später sagten die Leute: "Oh, die Neunzigerjahre und Grunge."

STANDARD: Oft wird von dem mühelosen, stilvollen und doch coolen britischen Stil geschwärmt. Gibt es den?

Scott: Die Briten sind wie Elstern: Sie nehmen Dinge von überall und mischen sie miteinander. Mir ist bei Events schon oft aufgefallen, dass Briten den "perfekten Look" nicht ganz zustande bringen: Hier ein heruntergetretener Kleidersaum, da ein verschmiertes Augen-Make-up, sehr sympathisch.

STANDARD: Wann haben Sie begonnen, sich für Styling zu interessieren?

Scott: Ich war ab meinem siebenten Lebensjahr in einem Internat auf dem Land. Als Teenager fielen mir Modemagazine in die Hand. Sie waren das Tor zu einer neuen Welt, die ich brauchte, um meiner beengten Situation zu entkommen. Mit dreizehn oder vierzehn Jahren entschied ich für mich: Ich will bei der Vogue arbeiten. 1984 bekam ich dort tatsächlich einen Job.

STANDARD: Trafen Sie dort Ihre Vorbilder?

Scott: Ich habe keine wirklichen Vorbilder, aber einige Eigenschaften haben mich in der Zusammenarbeit mit Menschen über die Jahre hinweg angesprochen: Mut, Loyalität, Individualität, Freundlichkeit, Kreativität. Eine Tendenz zum Kontrollverlust schadet auch nicht – das Riesen-Ego ist ein Killer.

STANDARD: Wie würden Sie die Arbeit eines Stylisten beschreiben?

Scott: Ein guter Stylist hat das große Ganze im Kopf – und alles, was das Bild ausmacht: Model, Fotograf, Haar, Make-up, Location, Atmosphäre. Die Kleider, die ich für ein Shooting aussuche, kommen bei mir meist erst an letzter Stelle.

STANDARD: Und was steht am Anfang einer Modestrecke?

Scott: Bei mir kann fast alles eine Geschichte lostreten. Ein Film, ein Foto von Wim Wenders, ein Kunstwerk, ein Mädchen in einem bestimmten Outfit auf dem Laufsteg, Musik, jemand, der die Straße entlangläuft oder die Mutter eines Freundes.

STANDARD: Welche Motive sind in Ihrer Arbeit in all den Jahren immer wiedergekehrt?

Scott: Da wären einmal das naturverbundene Mädchen und dann die Femme fatale oder die Powerfrau. Meine Vorstellung von der perfekten Frau beinhaltet sowohl die eine als auch die andere Seite.

STANDARD: Wie hat sich Ihr Beruf seit den 1980er-Jahren verändert?

Scott: Ich glaube gar nicht so sehr. Viele der beteiligten Schlüsselfiguren sind seit Jahrzehnten in der Branche tätig. Dazu ist das bewegte Bild gekommen, eine spannende Komponente.

STANDARD: Als Stylist muss man oft die Mode der Anzeigenkunden dem unbekannten Designer, den man vielleicht besser findet, vorziehen. Wie gehen Sie damit um?

Scott: Die Printmedien haben es heute nicht einfach. Redakteure und Anzeigenkunden müssen gut zusammenarbeiten. Wenn man diese Situation als Einschränkung betrachtet, funktioniert gar nichts.

STANDARD: Während man früher in Modestrecken Designer- und Vintage-Teile mischen konnte, bestehen immer mehr Designer auf "Full Looks" ihrer Kollektion.

Scott: Wenn ein Designer zum ersten Mal in einem Modehaus das Ruder übernimmt, ist es verständlich, dass er eine klare Botschaft und seine Vision vermitteln will. Langfristig halte ich es für wichtig, dass Stylisten in der Lage sind, Modeteile verschiedener Designer zu mischen, um eine Geschichte zu erzählen. Wenn der Stylist nicht die Freiheit hat, Designer zu kombinieren, kann er ja gleich nur Werbung machen.

STANDARD: 1997 begann Ihre Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Designer Marc Jacobs. Was war Ihre Aufgabe?

Scott: Ich war von der ersten Minute einer neuen Kollektion an involviert. Marc und ich begannen mit Recherchen von Fotos, Bildern und Vintage-Kleidungsstücken, sodass wir eine Vorstellung hatten, in welche Richtung die Kollektion gehen soll. Danach suchten wir Stoffe, Farben der Stoffe und Drucke aus; wir arbeiteten an Handtaschen, Sonnenbrillen, Schuhen und Schmuck. Aber auch in die Auswahl der Musik, des Setdesigns, der Location und in das Casting der Models für die Modeschauen war ich immer eingebunden. Wir entschieden alles gemeinsam.

STANDARD: Stylen Sie auch Filmstars?

Scott: Ich habe noch nie Film- oder Musikstars für Veranstaltungen gestylt. Jemanden als "sich selbst" anzuziehen interessiert mich überhaupt nicht. Einen Schauspieler hingegen für eine Filmrolle einzukleiden fände ich toll.

STANDARD: Seit einigen Jahren arbeiten Sie auch als Fotografin.

Scott: Nach 17 Jahren Styling habe ich eine neue Herausforderung gesucht. Manche Modegeschichten sah ich so klar vor mir, sodass es einfacher war, die Kamera selbst in die Hand zu nehmen.

STANDARD: Seit vergangenem Jahr sind Sie die Modechefin der britischen "Vogue". Wie kam es dazu?

Scott: Edward (Enninful, Chefredakteur der britischen Vogue, Anm.) und ich kennen einander seit Jahrzehnten. Wir schätzten unsere Arbeiten. Er bot mir den Job zu einem Zeitpunkt an, als ich gern wieder in ein Team integriert sein wollte: Ich hatte genug davon, allein vor mich hin zu arbeiten. Das Timing hat gestimmt. Jetzt kehre ich dahin zurück, wo alles begann. Der Kreis schließt sich wieder einmal. Das mag ich.

STANDARD: Langweilt Sie die Mode manchmal?

Scott: Nein, ich bin immer noch begeistert von der Kraft, die Kleider haben. (Cordula Reyer, RONDO, 26.3.2018)


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