Sympathiepunkte sammelt man als Polizist vor allem bei der Verkehrserziehung für Kinder. Komplizierter wird es bei Einsätzen nach Gewalt in der Familie.

Barbara Gindl

Wien – Was fühlen Kinder, wenn die Polizei ins Haus kommt und einen gewalttätigen Angehörigen mitnimmt? Wie geht es ihnen damit, wenn die Beamten den wütenden Papa abführen? Diese sehr grundsätzlichen Fragen liegen einem ausführlichen Forschungsprojekt zweier Wissenschafterinnen zugrunde. Das Ergebnis der Untersuchung, die dem STANDARD vorliegt, in Kurzfassung: Die große Mehrheit empfand die Intervention der Beamtinnen und Beamten als erleichternd und positiv, als im Nachhinein betrachtet einzig richtige Möglichkeit, einen "Gefährder" – wenn auch oft nur vorübergehend – loszuwerden.

Umfassende Befragungen

"EinSatz" heißt die 259 Seiten starke Studie, die Sandra Messner und Andrea Hoyer-Neuhold vom Zentrum für Sozialforschung und Wissenschaftsdidaktik erarbeitet haben. 30 Kinder und Jugendliche (13 Buben, 17 Mädchen) aus fünf Bundesländern im Alter von acht bis 21 Jahren haben die Forscherinnen ausführlich dazu befragt, wie sie den Einsatz der Polizistinnen und Polizisten erlebt haben. Es ist die erste Untersuchung im deutschsprachigen Raum, bei der die betroffenen Kinder und Jugendlichen zu Wort gekommen sind und ihre Eindrücke geschildert haben. Das Projekt wurde im Sicherheitsforschungs-Förderprogramm "Kiras" vom Verkehrs- und Innovationsministerium finanziert und vom Innenministerium und einigen Gewaltschutzzentren unterstützt.

Worauf dabei besonders zu achten ist, deutet der Titel der Studie an: "EinSatz" haben Messner und Hoyer-Neuhold ihre Untersuchung genannt. Beim Eingreifen gehe es im Sinne der Kinder oft nur um den einen aufmunternden Satz, den die Beamtin oder der Beamte sage – das reiche oft schon aus, damit sich Kinder wahrgenommen, verstanden und beruhigt fühlen.

Überwiegend Männer

Als Gefährder nannten die befragten Kinder und Jugendlichen in 20 Fällen den eigenen Vater, in sieben Fällen den Stiefvater, bei einem Kind war es der Großvater – nur in zwei Fällen wurde die Mutter als "Gefährderin" angegeben. Primäres Ziel der (männlichen) Attacken war die Mutter, während die Kinder quasi zur unfreiwilligen Zeugenschaft verdammt wurden. Manche versuchten dazwischenzugehen.

Oft rufen die Kinder selbst die Polizei – ob im Auftrag der Mutter oder auf eigenes Betreiben. Laut den Recherchen der Forscherinnen sind es bei einem von drei Einsätzen gegen häusliche Gewalt die Kinder der Familie, die den Polizeinotruf betätigen. Dazu gehört viel Mut; die Kinder und Jugendlichen, die an der Studie teilgenommen haben, beschreiben auch unabhängig voneinander, sie hätten oft lange mit dem Anruf bei der Polizei gewartet. "Ich hatte Angst, er könnte noch mehr durchdrehen", sagte ein Mädchen.

Vieles hängt für den weiteren Verlauf einer polizeilichen Intervention davon ab, wie die Beamten die Wohnung be- und wie sie dort auftreten. Als positiv etwa beschreiben die Kinder, wenn die Polizisten sie ansprechen, begrüßen (oft reicht auch nur ein Augenzwinkern oder ein Lächeln), wenn sie nicht martialisch auftreten und laut sind, wenn sie sich auf Augenhöhe mit den kleinen Zeugen begeben. Als das "Allerschlimmste" beschreibt ein Bub in der Studie, dass ihn ein Polizist in sein Zimmer geschickt hatte – wo er voller Angst den Ausgang des Einsatzes abwarten musste. Nicht zu wissen, was geschieht: Das habe ihn beunruhigt und geängstigt, erzählte er den Forscherinnen.

Überhaupt ist Angst ein durchgängiges Motiv – auch Angst vor der Polizei. Die Forscherinnen haben herausgefunden, woher das rührt: Einige Kinder erzählten, die Eltern hätten ihnen schon mehrfach mit dem Rufen der Polizei gedroht, "wenn sie nicht brav sind". Die Empfehlung: direktes Ansprechen dieser Angst durch die Beamten selbst.

Bei den meisten für die Studie ebenfalls befragten Polizistinnen und Polizisten sei das zwar auf grundsätzliche Zustimmung gestoßen. Allerdings beklagten viele, dass das in der Situation oft gar nicht möglich sei. Man sei zu derartigen Einsätzen immer nur zu zweit eingeteilt – und habe dann alle Hände voll zu tun, den Täter vom Opfer zu trennen. Einige Beamte lehnten es explizit ab, verängstigte Kinder trösten zu müssen. Man sei kein Experte in Sozialarbeit, lautete das Argument.

Buben sind erleichtert

Dazu kommt, dass vor allem männliche Jugendliche von der eintreffenden Polizei zunächst oft als potenzielle Gefährder statt als Opfer gesehen werden – ein Eindruck, der sich bei eingehender Befragung nach dem Einsatz auf der Wache zumeist wieder zerstreue.

Bei den Buben selbst erzeugt der Polizeieinsatz in der elterlichen Wohnung gegenteilige Gefühle. Erleichtert, nicht selbst handeln und zum Beispiel die Mutter körperlich verteidigen zu müssen, seien sie gewesen, erzählte die Mehrheit der Teenager in der Untersuchung.

Als durchwegs große Erleichterung wird auch die Wegweisung des Gewalttäters aus der Familienwohnung erlebt. Sie fühle sich endlich wieder sicher, sagte ein Mädchen, die Wohnung sei ihr "wie neu" vorgekommen. Das verstärkt allerdings das Unsicherheitsgefühl in der Öffentlichkeit: Aus Angst, dem Weggewiesenen zu begegnen, trauen sich manche Frauen und ihre Kinder oft tagelang nicht außer Haus.

Frust der Polizei

Ein interessanter Nebenaspekt der Studie: Bei den Beamtinnen und Beamten macht sich nach dem Einsatz gegen Gewalttäter in der Familie oft Frustration breit. Etwa weil eine Gewaltbeziehung mit der Wegweisung noch lange nicht beendet ist und die Frauen schlagende Männer wieder zurücknehmen. Oder weil die Kooperation mit Frauenhäusern oft als "mühsam" beschrieben wird. Eine echte Lücke in der Nachbetreuung konstatierten einige Beamte. Wegen des Datenschutzes ist es nicht erlaubt, Angaben über das Aussehen eines Gefährders an Pädagoginnen weiterzugeben. Dadurch sei es besonders schwierig, Kinder vor einem neuerlichen Zugriff gewalttätiger Väter zu schützen. (Petra Stuiber, 21.3.2018)