Berlin – Mit der am Montag gespielten achten Runde ist das Berliner Kandidatenturnier in seine zweite Hälfte gestartet. Es ist das der Zeitpunkt, zu dem die Spieler zu spüren beginnen, dass es sich um einen schachlichen Marathon handelt. Die meisten Turniere gehen über sieben, neun, mitunter elf Runden – selten mehr. Das alljährlich im Jänner ausgetragene Traditionsturnier von Wijk aan Zee erstreckt sich über 13 Runden und gilt deshalb als konditionell besonders herausfordernd.

Allerdings: In Wijk aan Zee gehen 14 Spieler an den Start, nicht alle davon gehören zur absoluten Weltspitze. In Berlin dagegen bilden jene acht Spieler das Feld, die nach Magnus Carlsen die stärksten Leistungen im Spitzenschach der letzten beiden Jahre gezeigt haben. 14 Runden gegen eine solche Gegnerschaft zu spielen ist eine Herausforderung, die besonders in die Knochen geht.

Armer Kramnik

Nach seinen leicht skurrilen Auftritten in den post mortem abgehaltenen Pressekonferenzen der vergangenen Runden hatte Ex-Weltmeister Wladimir Kramnik einigen Spott über sich ergehen lassen müssen. Niemand zweifelt Kramniks herausragende Spielstärke an. Seine in Berlin zutage tretende Manie, nach so gut wie jeder Partie im Nachhinein beweisen zu wollen, dass er eigentlich total auf Gewinn gestanden sei, kann einem allerdings schon auf die Nerven gehen.

Zumal jeder Schachspieler ähnlich gepolte Klubkollegen oder Turniergegner kennt: Selbst bei der Analyse von Endspielen mit Minusfigur vertritt diese selbstbewusste Spezies gerne forsch die Meinung, alle Chancen auf einen Sieg seien selbstverständlich immer bei ihr gelegen. Dass auch einer der Größten des Schachsports vom gleichen Schlag ist, lässt die positionelle Präzisionsmaschine Wladimir Kramnik eigentlich auf sympathische Weise als ganz normalen Schachspieler erscheinen.

Als solcher leistet sich der Russe am Dienstag gegen Landsmann Sascha Grischtschuk einige Ungenauigkeiten, die seine Kompensation für den ausgangs der Eröffnung geopferten Bauern nach und nach infrage stellen. Eigentlich scheint Kramnik Grischtschuks Freibauern auf der c-Linie mithilfe seines Läuferpaars gut unter Kontrolle halten zu können. Aber ab der fünften Partiestunde entwickelt das weiße Spiel zunehmend immersive Qualitäten. Langsam, fast unmerklich verbessert Gritschtschuk die Position von König und Leichtfiguren, bis er Kramnik so weit eingelullt hat, dass dieser keinen Widerstand mehr gegen den Abtausch in ein reines Läuferendspiel leisten kann. Und das ist dann, trotz reduzierter Bauernanzahl, auf einmal recht trivial gewonnen.

Caruana bleibt vorn

Wladimir Kramnik reiht sich nach dieser dritten Niederlage unter die Spieler mit Minusscore ein, zu denen auch die Kollegen Aronjan, So und Karjakin gehören. Sie alle dürften bei noch sechs zu spielenden Runden keine realistische Chance mehr auf den Turniersieg haben. In den drei übrigen Partien der achten Runde, die alle mit Remis enden, ist es der Führende Fabiano Caruana, der einem Schwarzsieg gegen Landsmann Wesley So am nächsten kommt. Mit Minusqualität gelingt es So jedoch, im Endspiel sämtliche Bauern abzutauschen. Seine definitiv ausreichenden Kenntnisse bezüglich der Verteidigung des bauernlosen Endspiels König + Springer gegen König + Turm lässt Caruana sich dann gar nicht mehr zeigen, sondern klopft das weiße Pferd gleich zum Remis weg.

Vor der neunten Runde führt Caruana daher mit 5½ aus 8 das Feld weiterhin alleine an. Shakhriyar Mamedyarow mit 5 sowie Alexander Grischtschuk mit 4,5 Punkten bilden seine unmittelbaren Verfolger. Einzig Remiskönig Ding Liren notiert mit 50 Prozent Punkteausbeute bei 4 aus 8. Dahinter folgt der Pulk derer, die ihre Hoffnungen auf ein Match gegen Magnus Carlsen vermutlich bereits begraben haben. (Anatol Vitouch aus Berlin, 20.3.2018)