Sie ist Liebe, Wut, Angst, Traurigkeit und Verzweiflung: ein Mix der Gefühle. "Trauer ist ein Prozess, der hilft, mit Verlusten umzugehen", beschreibt es Nicola Wieland, klinische Psychologin und Lektorin an der Uni Wien. "Es gehört einfach zum Leben dazu." Wenn man einen Verlust erlebt, hilft die Trauer, die verbundenen Erinnerungen, Erlebnisse und Gefühle ins Leben zu integrieren. "Das kostet Zeit und Kraft", sagt Wieland. Und: "Es gibt kein gängiges Rezept. Jeder trauert anders."

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Auch wenn Trauer ein individueller Prozess ist, geht man in der Psychologie heute von Trauerphasen aus. 1969 beschrieb Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross ein Phasenmodell, indem sie sich mit dem Verhalten und Erleben Sterbender beschäftigte, das auch für den Trauerprozess angewandt wurde. 1982 ließ Psychologin Verena Kast das Modell von Kübler-Ross in ihre vierphasige Version fließen. "Wir erleben zuerst den Schockzustand. Es ist eine Starre wie eine Ohnmacht, man will nicht wahrhaben, was passiert ist", sagt Wieland. Oft würden körperliche Reaktionen folgen wie Herzrasen und Nervosität. "Wir kennen das aus Krisensituationen: Wenn ein Arzt einer Frau sagt, ihr Ehemann sei gestorben, passiert es, dass sie gar nicht mehr zuhört. Man kann nichts mehr aufnehmen." In einem zweiten Schritt übermannen einen die Gefühle. "Es kommen Zorn, Wut und auch Schuldgefühle", sagt Wieland. Man macht sich Gedanken, wie man etwas hätte verhindern können, und sich fühlt sich verlassen.

Wenn sich das Chaos der Gefühle gelegt hat, kommt das Suchen. Man muss sich immer wieder bewusstmachen, dass es den vermissten Menschen nicht mehr gibt. Geräusche, Gerüche, Dinge erinnern einen immer wieder an den Verlust. Zuletzt folgt das Akzeptieren. "Die Phasen verlaufen aber nicht linear", sagt Wieland. Wenn Menschen in Phase drei sind, können sie auch wieder in Phase eins verfallen – ohne dass dies als Rückschritt anzusehen ist. "Diese vermeintlichen Rückschritte sind oft mit Stress und der Angst des Versagens verbunden."

Im Trauerprozess passt man seine Welt an die neue Situation an. Dabei können Rituale hilfreich sein. Man geht zum Friedhof, zündet Kerzen an oder trägt schwarze Kleidung. "Trauerrituale geben in Zeiten der Unsicherheit Halt", sagt Wieland: "Man vergräbt oder verbrennt etwas, lässt Ballons steigen oder Schiffchen wegfahren. Die Rituale sind wie die Trauer selbst individuell und unterscheiden sich je nach Kultur."

Kleine Tode

Es trauert aber nicht nur jeder individuell, sondern auch über verschiedenes: "Verlust ist nicht gleich Tod. Wir erleben tagtäglich Trauersituationen, sterben jeden Tag kleine Tode." Und diese sollen nicht banalisiert werden, kleine Verluste lehren uns, mit den großen umzugehen. Ob beim Ende einer Partnerschaft oder beim Tod eines Freundes, es geht "immer um die Beziehung".

Ob Trauer vergeht? "Man lernt, damit umzugehen", meint Wieland. Man findet Wege, die Trauer in die neue Lebenswelt einzubauen. Autorin Saskia Jungnikl hat sich mit dem Tod ihres Vaters in ihrem Buch "Papa hat sich erschossen" auseinandergesetzt: "Mir war es wichtig, das aufzuschreiben, durchzuspielen und Gefühle neu zu bewerten." Jungnikl beschreibt Tauer als etwas, das "immer da" ist – mal stärker und mal schwächer. "Es ist ein Grundgefühl wie Liebe und Freude", sagt sie. Die Trauer zu beenden, funktioniere nicht. "Alle erwarten von einem, dass man darüber hinwegkommt, auch man selbst. Man denkt, es kommt die Zeit, wieder wie früher zu sein, aber das passiert nicht. Die Trauer über einen Menschen, den man geliebt hat und der gestorben ist, hört nicht auf." Man verändere sich nur, und die Trauer verändere sich auch.

Trotzdem wird heute noch sehr wenig über das Thema gesprochen. "Dabei hilft manchmal nichts so sehr wie das Gefühl, verstanden zu werden", sagt Jungnikl. Ihr Buch soll Hinterbliebenen helfen. "Tod und Suizid sind Tabuthemen, darüber zu reden fällt vielen schwer", sagt die Autorin. In ihrem aktuellen Buch "Eine Reise ins Leben oder wie ich lernte, die Angst vor dem Tod zu überwinden" sprach sie deshalb mit den unterschiedlichsten Menschen über das Thema – vom Bestatter bis zum Bischof. "So viele Menschen haben kluge Dinge zu dem Thema zu sagen – und reden mit fast niemandem darüber. Dabei ist jeder damit konfrontiert, jeder hat schon wen verloren und jeder wird einmal sterben."

Dabei könne man durch Gespräche und die Enttabuisierung des Themas "die Angst vor dem Tod ein bisschen zurücklassen", sagt Wieland. In ihrer "Datum"-Kolumne "Auf Leben und Tod" spricht Jungnikl daher mit Prominenten über dieses Tabuthema. "Eher nachdenklich als traurig. Es wird viel gelacht", sagt die Autorin.

Tabuthema

"Lange war es verpönt, Trauer im öffentlichen Raum zu zeigen", sagt der deutsche Kulturwissenschafter Norbert Fischer vom Institut für Europäische Ethnologie an der Uni Wien. "Sterben, Tod und Trauer war der letzte Bereich, der von Liberalisierungstendenzen – wie sie etwa die Sexualität in den 1960ern erfuhr – erfasst wurde." Der Bedeutungsverlust der traditionellen sozialen Verbände habe dazu geführt, dass man in freieren Gruppen trauert. "Seit etwa 20 Jahren beobachten wir, dass die Trauer in den öffentlichen Raum wandert", sagt Fischer.

Trauerbekundung war bis in die 1980er vor allem auf spezielle Plätze konzentriert: auf den Friedhof, die Grabstätte, ein Trauerhaus, eine Kirche oder Kapelle. "In der christlichen Tradition waren das die zentralen Orte der Trauer. In Mittel- und Westeuropa beobachten wir jetzt, dass Trauer an ganz anderen Plätzen praktiziert wird", sagt Fischer. So finden sich Straßenkreuze, an Orten von Verkehrsunfällen, wo "provisorisch getrauert" wird. Über Wochen, Monate oder Jahre sind die Kreuze angebracht. "Es kommt darauf an, wie prominent eine Person war", sagt Fischer. Im Falle Jörg Haiders wurde an der Unfallstelle etwa ein fixes Denkmal gebaut. Zudem finden sich mehr und mehr Orte, an denen um Prominente getrauert wird. "Diese öffentlichen Orte vermögen viel stärker, Gefühle hervorzurufen", sagt Fischer. Sie werden von Fans und Anhängern gepflegt, die auch Erinnerungsstücke hinterlegen.

In den vergangenen Jahren kamen soziale Netzwerke als neue Orte der Trauer hinzu. "Hier erkennen wir zum Teil viel emotionalere Muster, als es eine klassische kirchliche Trauerfeier mit den festen Formen sein kann", sagt Fischer. So werden Videos, Musikdateien und Bilder, die an eine verlorene Person erinnern, online gestellt. "Man kann Dinge teilen, die man auch im realen Leben geteilt hat." Menschen, die von einem besonderen Trauerfall betroffen sind, organisieren sich zudem über das Internet und suchen dort Personen, denen dasselbe passiert ist – etwa Eltern, die Kinder verloren haben.

Politische Dimensionen

Trauer ist aber nicht nur persönlich. Sie hat auch eine politische Dimension. "Man trauert auch aufgrund eines historischen Wissens. Die Idee ist dieselbe: An dem Ort, an dem sich eine Tragödie abgespielt hat, wird gezeigt, dass Unrecht passiert ist", sagt Fischer. Ein bekanntes Beispiel sind die Stolpersteine, die etwa in Wien an deportierte jüdische Familien erinnern. "Man trauert um einen Verlust, das kann konkret sein oder abstrakt." Dabei geht es um den Teil unserer Gesellschaft und unserer Kultur, der entrissen wurde.

Ein "schönes Beispiel" für private Trauer, die zur gesellschaftlichen wurde, ist für Fischer der Friedhof der Namenlosen im Alberner Hafen. Hier hat man Menschen, die anonym am Donauufer angeschwemmt wurden oder sich das Leben genommen haben, bestattet. Heute ist der Ort in fast jedem Wien-Reiseführer zu finden und gilt als Schauplatz für Literatur und Film. (Oona Kroisleitner, 26.3.2018)