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Xi Jinping auf dem Weg zu seiner Abschlussrede auf dem diesjährigen Volkskongress. Seine Machtfülle ist noch größer als zuvor.

Foto: Reuters / Sagolj

Chinas neu gewählte Regierung und ihr machtbesessener Staatschef Xi Jinping verloren keine Zeit. Am Dienstag ging der zweiwöchige Volkskongress zu Ende. Er änderte die Verfassung, damit Xi Präsident auf Lebenszeit sein kann. Die knapp 3.000 Delegierten billigten zudem mit nur 28 Gegenstimmen ein Ermächtigungsgesetz für eine neu geschaffene Superbehörde, die über der Justiz steht. Sie erhielt Sondervollmachten zur Korruptionsbekämpfung und kontrolliert Chinas gesamte Verwaltung. Eigenmächtig darf sie Verdächtige festnehmen und verhören.

Neben der Kontrolle ihrer Beamten bastelt Chinas Führung an einem viel ehrgeizigeren Projekt: am Aufbau eines Systems gesamtgesellschaftlicher Überwachung der Bevölkerung – und derjenigen, die als nicht vertrauens- und kreditwürdig gelten. Derzeit erweitern die Behörden ihre schwarzen Listen, auf denen online die Namen und Daten von Millionen säumiger Schuldner stehen. Noch während des Volkskongresses erließen Chinas Planungs- und Justizbehörden drei neue Verordnungen, die den Kreis der Betroffenen über die Schuldner hinaus ausweiten sollen.

Schwarze Schafe

Bisher waren die meisten schwarzen Schafe auf den Listen Bürger, die ihre Kredite nicht zurückzahlen konnten oder wollten. Gerichte verhängten oft erfolglos Zwangsvollstreckungen gegen sie. Sie veröffentlichten daraufhin Namen und Daten in einem Onlinesystem, das mit anderen Computern von der Grenzkontrolle bis zu Airports und Bahnhöfen vernetzt ist. Und sie erließen Verbote für Schuldner und begrenzten ihre Mobilität, bis diese ihre Rechnungen beglichen oder in anderer Form erneut vertrauenswürdig wurden. Bis dahin durften sie weder China verlassen noch im Inland in Flugzeugen oder Hochgeschwindigkeitsbahnen reisen, in Luxushotels wohnen oder Bank- und Immobiliengeschäfte machen.

Nach nur fünf Jahren seit Einführung der schwarzen Listen stehen darauf 9,96 Millionen chinesische Schuldner, erklärte der Präsident des Obersten Volks gerichts, Zhou Qiang, auf dem Volkskongress. Mehr als zehn Millionen Mal wurden ihnen Flüge und fast vier Millionen Mal Bahnfahrten mit dem Highspeedzug verwehrt. Bei 2,2 Millionen Betroffenen wirkte die Zwangserziehung Wunder, sagte Zhou. Sie zahlten ihre Schulden zurück.

Die kombinierte Straf- und Erziehungsmaßnahme und die dafür nötige "Big Data"-Operation ist Teil eines 2014 begonne- nen Pekinger Experiments von Orwell’schen Ausmaßen. Der Staatsrat nennt es "Aufbau eines Sozialkredit-Bewertungssystems", das bis 2020 zum landesweiten Überwachungssystem für alle Bürger entwickelt werden soll. Peking lässt es bereits mit 43 Pilotprojekten in Kleinstädten testen. Alle Bürger erhalten dort Punkte, mit denen ihr tägliches Kredit- und Sozialverhalten, etwa Nachbarn zu helfen, positiv bewertet wird – oder mit denen bestraft wird, wer bei Rot über die Ampel fährt. Wer schlecht abschneidet, erlebt Nachteile in allen Lebensbereichen, erhält keinen Bankkredit oder wird nicht befördert.

Penibles Bewertungssystem

Der Staatsrat hat Bestimmungen erlassen, nach welchen Kriterien Sozialkreditpunkte an den Einzelnen vergeben werden, sagte Lian Weiliang, Vizedirektor der Reform- und Entwicklungskommission (NDRC), der Zeitschrift "Caijing". Für das Staatsprojekt wolle die Regierung neue Gesetze und Standards erlassen, um den rechtlichen Rahmen zu seiner landesweiten Einführung zu setzen.

Das Kontrollregime ist weit gediehen. Nach dem Volkskongress lässt Peking das Tempo für sein "gesellschaftliches Management" genanntes Experiment beschleunigen. Die Staatsplaner der NDRC veröffentlichten gemeinsam mit sechs Behörden, darunter das Steueramt, eine dreiseitige Verordnung, die am 1. Mai in Kraft tritt. Sie weiten den Kreis der als vertrauens- und kreditunwürdig Bewerteten auf Inhaber von Konkursfirmen und Steuerhinterzieher aus. Betroffen sind auch alle von den Flug- und Bahngesellschaften gebrandmarkten Störenfriede, selbst Raucher an Bord. Sie werden ein Jahr für Flüge und ein halbes Jahr für Bahnfahrten gesperrt. Das Dokument enthüllt auch, wer der Big Brother hinter solchen Ideen ist: "Wir müssen die wichtige Weisung von Generalsekretär Xi umsetzen, der gesagt hat: Wer einmal seine Kreditwürdigkeit einbüßt, muss dafür überall Beschränkungen erleiden."

Vor allem die IT-Revolution liefert das Werkzeug für die gigantischen Datenbanken, deren Vernetzung die künftige Kontrolle der gesamten Gesellschaft ermöglicht. Obwohl die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen mit Füßen getreten werden, loben viele Chinesen das raffinierte System. Sie übersehen dabei, dass es ein Baustein für den von Peking geplanten, digitalisierten Überwachungsstaat ist. (Johnny Erling aus Peking, 20.3.2018)

Bloomberg Politics